Süddeutsche Zeitung

Umwelt:Atommüll sucht Heimat

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In einem Bürokomplex in Niedersachsen arbeiten Geologen am Unmöglichen: Sie wollen ein Endlager in Deutschland nach rein wissenschaftlichen Kriterien finden. Doch die Politik funkt schon jetzt dazwischen.

Von Michael Bauchmüller, Peine

Die Karte auf Jörg Weidenbachs Bildschirm ist weiß, als wäre dichter Schnee auf ein endloses Flachland gefallen. "Die Topografie würde uns nur ablenken", sagt Weidenbach. Schließlich gehe es um den tiefen Untergrund. Berge, Täler, Orte, das hat ihn und seine Leute nicht zu interessieren. Noch weniger Stadträte und Bürgermeister, aber das ist eine andere Sache. Interessanter sind da schon die feinen lila Linien inmitten des Weiß'. "Das sind die Störungen", sagt Weidenbach.

Peine bei Hannover, ein unscheinbarer Bürokomplex, versteckt hinter einem Wohngebiet. Auf Dutzenden Monitoren entsteht hier eine neue Deutschlandkarte im Maßstab 1 : 500 000, die Vorstufe zu einem Experiment mit offenem Ausgang: Lässt sich ein Endlager allein nach geologischen Kriterien finden? Der bestmögliche Standort für Atommüll, sicher über eine Million Jahre? Und vor allem: Lässt sich diese Suche so transparent und nachvollziehbar veranstalten, dass am Ende auch betroffene Bürger das Ergebnis hinnehmen können?

Zuständig für diese Vorstufe ist die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), die "weiße Landkarte" ist hier Programm. Mittlerweile hat sie 1,5 Millionen Daten über den deutschen Untergrund zusammengetragen. Solche wie die lila Linien im Weiß von Weidenbachs Monitor. "Störungen", das sind für Geologen tektonische Verschiebungen im Gestein. Wo solche Verschiebungen auftauchen, lässt sich ein Endlager nicht anlegen. Das Gleiche gilt für Erdbebengebiete oder Gegenden, in denen einmal Vulkane aktiv waren - und irgendwann wieder aktiv werden könnten. Wo Bergleute ihre Stollen angelegt haben, ist ein Endlager unmöglich, ebenso dort, wo sich junges Grundwasser findet: Denn das spricht dafür, dass das Gestein nicht ganz dicht ist. Und dicht soll es sein, das künftige Bergwerk für den Atommüll.

"Wenn es einen Weg gibt, in Deutschland einen Standort zu finden, dann ist es dieser", sagt Stefan Studt, einer von vier Geschäftsführern der BGE. "Und ob das klappt, hängt ganz entscheidend von unserer Arbeit ab." Schrittweise soll die Zahl potenzieller Standorte bis 2031 immer weiter eingeengt werden, jeweils per Beschluss von Bundestag und Bundesrat und nach Beteiligung der Öffentlichkeit - bis der bestmögliche bleibt. So will es das Verfahren, das eine breit angelegte Kommission nach monatelanger Vorarbeit 2016 ausgeheckt hat. Keiner soll hinterher sagen können, hier sei Willkür am Werk gewesen. So wie einst in Gorleben.

Drei Jahrzehnte lang galt der Salzstock im Wendland als der natürliche Favorit für den Atommüll. Mehr als 1,9 Milliarden Euro flossen in den Ausbau. Nur die Akzeptanz ließ sich nicht erkaufen, stattdessen hielten sich hartnäckig Zweifel an der geologischen Eignung. Ein systematisches Auswahlverfahren hatte nie stattgefunden, inzwischen sind die Arbeiten unter Tage weitgehend eingestellt. Die verbliebenen Anlagen an der Oberfläche sind heute eher ein Mahnmal dafür, wie es nicht geht.

Ob es mit der "weißen Landkarte" funktioniert, ist auch noch nicht erwiesen. In dem Gebäude in Peine herrscht geschäftige Ruhe. Dort, wo einst ausgerechnet die Gorleben-Baufirma ihren Sitz hatte, erarbeiten nun Teams fünf verschiedene Landkarten, für fünf verschiedene sogenannte Ausschlusskriterien. Dabei hilft ihnen ein Gesetz aus dem Jahr 1934: Danach muss jeder, der nach Bodenschätzen oder Geothermie-Vorkommen sucht, die Ergebnisse seiner Probebohrungen den Bergämtern mitteilen. Weil 1934 die Digitalisierung fern war, kommen die meisten Daten bis heute auf Papier. Vor allem im Norden gibt es so aber gute Daten über den tiefen Untergrund - schon weil hier viele Firmen nach Öl und Gas suchten. Im Granit dagegen, wie er in Sachsen und Bayern vorkommt, sind die Daten dürftiger, ist die Arbeit mühseliger. Am Ende soll der Vergleich alle Gesteinsarten umfassen, die für ein Endlager infrage kommen. Salz und Ton, aber auch Granit, der sogenannte Kristallin.

Reihenweise flattern die Resolutionen verunsicherter Kommunalpolitiker herein

Am Ende, so der Plan, sollen alle fünf Karten zu einer werden. Was dann nicht markiert ist, als Störung, Erdbebenzone, wegen Vulkanismus oder Bergwerken, das kommt in die engere Wahl: die sogenannten "Standortregionen". Nicht nur in Peine ist allen klar, dass die Debatte über die Endlagersuche damit erst richtig losgeht.

Spürbar werden Widerstände schon jetzt. Als kürzlich CSU und Freie Wähler über ihren Koalitionsvertrag für Bayern verhandelten, da scherte sie die Geologie wenig. "Wir denken beim Schutz unserer Heimat über Generationen hinaus", schrieben die Partner in ihren Koalitionsvertrag. "Wir sind überzeugt, dass Bayern kein geeigneter Standort für ein Atomendlager ist." Dass Bayern jahrzehntelang Standort von Atomkraftwerken war, ergo auch jede Menge von dem Müll produzierte, davon findet sich kein Wort. Das soll die Heimat anderer über Generationen schultern.

Mit solchen Einwänden muss sich die BGE in Peine immer häufiger auseinandersetzen. "Wir schätzen die Zusammenarbeit mit der Politik", sagt Steffen Kanitz, der als CDU-Abgeordneter selbst in der Endlagerkommission saß und heute ebenfalls die Geschäfte der BGE führt. "Aber eine Vermutung in einem Koalitionsvertrag ersetzt nicht die wissenschaftliche Befassung." Reihenweise flatterten in Peine derzeit Ratsresolutionen ein. Verfasst von verunsicherten Kommunalpolitikern, die ihre Heimat schützen wollen. Oft, sagt Kanitz, steckten dahinter Gerüchte, manchmal gezielte Falschinformationen. Im Fichtelgebirge hat sich schon eine Anti-Endlager-Bürgerinitiative gegründet - ohne, dass es dort schon konkrete Endlagerpläne gäbe. Letztendlich, sagt Kanitz, gehe es um Transparenz und um Vertrauen - auch in die Arbeit am Rande von Peine. "Aber es gibt das Bewusstsein, dass dies vielleicht die letzte Chance ist, ein Endlager zu finden." Jedenfalls eines in Deutschland.

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SZ vom 08.01.2019
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