Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Schlag gegen Klitschko

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Mit einem rechtlich fragwürdigen Erlass setzt Präsident Wolodimir Selenskij Kiews Bürgermeister als Verwaltungschef ab. Der frühere Boxweltmeister wirft der neuen Regierung seines Landes vor, sie wolle ihn "ausschalten".

Von Florian Hassel, Warschau

Im Ringen um Macht und Geld in der ukrainischen Hauptstadt Kiew steht Ex-Boxweltmeister Witalij Klitschko möglicherweise vor einem K. o. durch die Mannschaft von Präsident Wolodimir Selenskij. Die Regierung billigte einen Antrag Selenskijs, Klitschko als Verwaltungschef zu entlassen. Der entsprechende Erlass des Präsidenten ist nur noch Formsache. Klitschko bliebe weiterhin Bürgermeister, wäre aber seiner Hauptvollmachten beraubt. Selenskijs Vorgehen ist rechtlich fragwürdig und dürfte zum monatelangen Kampf um Kiew führen.

Kiew hat als Hauptstadt einen Sonderstatus, der anderen ukrainischen Oblasts (Regionen) entspricht, und dadurch zwei Führungsposten: den des Bürgermeisters und den des Verwaltungschefs. Während der ukrainische Präsident die Leiter anderer Oblasts frei feuern und ernennen darf, muss er in Kiew denjenigen zum Verwaltungschef ernennen, der zuvor zum Bürgermeister gewählt wurde. Dies hat das ukrainische Verfassungsgericht 2003 in einem Urteil bestätigt.

Klitschko wurde im Mai 2014 zum Bürgermeister gewählt und daraufhin von Präsident Petro Poroschenko zum Verwaltungschef ernannt. Da seine Partei Udar (Schlag) zudem die Mehrheit im Stadtrat hat, vergibt und kontrolliert Klitschko den Stadthaushalt, städtischen Besitz und die Vergabe lukrativer Baugenehmigungen. Illegale Bauten gibt es in Kiew oft; Journalisten filmten Klitschko im September 2017 zusammen mit zwei einflussreichen Kiewer Bauunternehmern. Der eine von ihnen - Wadim Stolar - galt als "graue Eminenz" hinter Klitschko, was dieser bestreitet.

Andrij Bohdan, neuer Chef der Präsidialverwaltung, behauptete am 30. Juli, ihm seien für den Verbleib Klitschkos als Verwaltungschef 20 Millionen Dollar Bestechungsgeld geboten worden. Doch Klitschko zufolge forderte Bohdan ihn, Klitschko, auf, ab sofort sämtliche Entscheidungen mit zwei Intimi von Bohdan abzuklären: mit dem Bauunternehmer Andrij Warisch und mit Olexander Tkatschenko.

Tkatschenko arbeitete wie Bohdan zuvor für den umstrittenen Oligarchen Ihor Kolomoiskij. Dessen Unterstützung war mitentscheidend für Selenskijs Wahl zum ukrainischen Präsidenten. Sollte Selenskij Klitschko entlassen und einen anderen Verwaltungschef ernennen, wäre Klitschko immer noch Bürgermeister und würde bis zu Lokalwahlen im Herbst 2020 weiterhin den Stadtrat kontrollieren. Klitschko kündigte zudem Klage gegen seine anstehende "rechtswidrige" Entlassung als Verwaltungschef an.

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SZ vom 06.09.2019
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