Süddeutsche Zeitung

Ukraine-Krise:Gerhard Schröder, stolzer Russland-Versteher

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Schröder warnt USA vor neuen Sanktionen

Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder hat die USA und die EU vor neuen Russland-Sanktionen in der Ukraine-Krise gewarnt. "Die gegenseitigen Sanktionen schaden beiden Seiten immens", sagte Schröder laut Redemanuskript bei einem Wirtschaftstreffen in Rustock. Zu dem Russland-Tag, der wegen der Rolle Moskaus im Ukraine-Konflikt umstritten ist, kamen mehr als 400 Teilnehmer aus Mecklenburg-Vorpommern sowie dem Gebiet rund um Sankt Petersburg.

Schröder warb dafür, trotz des fortwährenden Ukraine-Konflikts den Dialog mit Russland zu suchen. "Nur so kann Vertrauen entstehen, das derzeit fehlt." Russland fühle sich schon seit den Zeiten Napoleons vom Westen bedroht, sagte der SPD-Politiker. Dies müsse man bei seinem Handeln im Hinterkopf haben.

Der Begriff "Russland-Versteher" sei zu einem Kampfbegriff geworden, mit dem jene diskreditiert werden sollten, die eine differenzierte Debatte führen wollten, sagte Schröder. Er stehe dazu, "dass ich Russland, seine Menschen und seine politische Führung verstehen will. Ich schäme mich dafür nicht, im Gegenteil: Ich bin stolz darauf." Schröder ist mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eng befreundet.

Ein Dialog schließe Kritik nicht aus. "Kritik gehört zu einem sachlichen Austausch von Meinungen dazu", betonte Schröder. Er mahnte die Politik, weiter um ein friedliches Europa zu ringen. "Es ist uns - und da schließe ich meine Amtszeit ausdrücklich mit ein - nicht gelungen, eine stabile Friedens- und Sicherheitsstruktur in Europa zu schaffen", sagte er.

Der Altkanzler forderte, beim Aufbau einer europäischen Sicherheitsarchitektur die Geschichte Polens genauso wie die Russlands zu berücksichtigen. Die Kriege der Vergangenheit hätten "tiefe Spuren im Gedächtnis" beider Völker hinterlassen. "Diese historischen Erfahrungen müssen ernst genommen werden", sagte Schröder. Nicht ohne Sorge stelle er fest, "dass wir von einem gemeinsamen Geschichtsverständnis in Europa und Russland weit entfernt sind".

Russischer Botschafter beklagt rückläufige Wirtschaftsbeziehungen

Russlands Botschafter Wladimir Grinin beklagte eine rückläufige Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Russland. Der Warenumsatz im ersten Halbjahr 2014 habe sich um 6,5 Prozent verringert, sagte Grinin. Insbesondere der deutsche Export nach Russland ist demnach betroffen. Im Juli sei der Export um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gefallen.

Über das ganze Jahr gesehen könnte der Export um bis zu 25 Prozent sinken. Nach den Sanktionen des Westens wegen der Rolle Russlands im Ukraine-Konflikt hat Moskau seinerseits einen Importstopp für eine Reihe von Produkten aus der EU angeordnet.

Als problematisch bezeichnete Grinin auch das Schwinden des gegenseitigen Vertrauens. In den vergangenen Jahren sei eine privilegierte Zusammenarbeit aufgebaut worden. Dieses Vertrauen wiederherzustellen, sei wesentlich schwerer als nur die ökonomischen Wunden zu behandeln.

Tote bei Granateneinschlag in Donezk

Während das Treffen in Rostock lief, gingen die Gefechte in der Ostukraine weiter: Beim Beschuss eines Kleinbusses in dem Konfliktgebiet starben nach Darstellung prorussischer Separatisten mindestens acht Menschen. Die Aufständischen in der selbsternannten "Volksrepublik" Donezk machten das ukrainische Militär verantwortlich, wie russische Agenturen meldeten. Der Stadtrat der Separatistenhochburg berichtete indes von sechs Toten bei der Explosion des Busses.

Ein Geschoss traf nach Angaben der Aufständischen zudem eine Schule in Donezk. Dabei wurden mindestens vier Menschen getötet. Der Stadtrat von Donezk sprach dagegen von sechs Verletzten. Eine unabhängige Bestätigung gab es nicht. Wegen der Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Separatisten in der Ostukraine begann das Schuljahr im Konfliktgebiet am Mittwoch mit einem Monat Verspätung.

Die Leitung der ukrainischen "Anti-Terror-Operation" berichtete trotz einer seit mehr als drei Wochen geltenden Feuerpause von Mörserangriffen auf ihre Truppen an mehreren Orten im Konfliktgebiet. Dabei sei mindestens ein Zivilist getötet und drei Menschen verletzt worden, hieß es.

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dpa/AFP
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