Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Frühe Weihnachten

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Orthodoxe Christen feiern eigentlich im Januar, die in der Ukraine machen es jetzt anders - aus Hass auf den Aggressor Russland.

Von Cathrin Kahlweit

Die drei Kinder der Berdnyks haben Glück im Unglück: Sie feiern in diesem Jahr zwei Mal Weihnachten. Am liebsten würden sie das Fest daheim im Kiewer Schewtschenko-Bezirk begehen, gemeinsam mit den Paten, die traditionell am 7. Januar mit Geschenken zu Besuch kommen. Sie haben Heimweh, und das wäre ihr größter Wunsch: endlich wieder nach Hause fahren, in ihren alten Betten schlafen, die Freunde und die Pateneltern sehen. Aber auf das Stadtviertel, in dem ihr Wohnblock steht, gehen besonders häufig russische Raketen nieder, weshalb ihre Mutter mit ihnen schon im März geflohen war, nach Deutschland.

Maksym, Moris und Melissa sind, wie ihre Eltern und die Mehrheit der Ukrainer, orthodoxe Christen, und gewöhnlich feiern sie Weihnachten am 6. und 7. Januar, nach dem julianischen Kalender. Aber mit dem russischen Angriffskrieg hat sich die ohnehin oft kritische Haltung der Ukrainer gegenüber den russischen Nachbarn in offenen Hass gewandelt. Immer mehr Ukrainer lehnen es ab, russisch zu sprechen; russische Literatur, russische Kunst sind auf ukrainischem Boden verpönt, russischsprachige Sender verboten.

Nun hat sich der Hass auf die Aggressoren, die das Land in Schutt und Asche legen, die foltern und morden, in dem multikulturellen und multireligiösen Land auch auf das Weihnachtsfest ausgedehnt: Nicht nur die Katholiken in der West- und Südukraine, die Weihnachten am 25. Dezember feiern, sondern auch orthodoxe Christen haben ihre Feier vorgezogen - aus Prinzip, weil nichts an die dominante, russisch geprägte Kirchentradition erinnern soll - und aus Protest gegen die russischen Aggressoren. Bereits 2020 hatte die Kiew-treue "Orthodoxe Kirche der Ukraine" erklärt, dass ein Vorziehen des Weihnachtsdatums auf den 25. Dezember möglich sei. Im vergangenen Oktober erlaubte die ukrainische Orthodoxie das ihren Diözesen dann auch ganz offiziell.

Der ukrainische Geheimdienst führte Razzien in Kirchen und Klöstern durch, die als moskautreu gelten

Neben der "Orthodoxen Kirche der Ukraine" gibt es verwirrenderweise noch die dem Moskauer Patriarchat nahestehende "ukrainisch-orthodoxe Kirche". Sie hatte sich nach Kriegsbeginn von Moskau losgesagt, gilt aber nach ukrainischer Lesart weiterhin als kremltreu. Unlängst führte der ukrainische Geheimdienst Razzien in etwa einem Dutzend Kirchen und Klöstern durch, die als moskautreu gelten, Priester wurden verhaftet, das Verbot der ukrainisch-orthodoxen Kirche ist in Vorbereitung.

Melissa, Maksym und Moris Berdnyk in Bayern wissen von alldem nichts. Sie wissen nur, dass sie am 25. Dezember viele Süßigkeiten bekommen und den ersten Teil von Weihnachten gefeiert haben. Am 7. Januar gibt es dann Geschenke und das traditionelle Weihnachtsessen, die Kutja, eine Süßspeise, die aus Weizen, Honig, gehackten Nüssen, Mohn und Rosinen besteht. In diesem Jahr als gutes Omen besonders wichtig: Die Kutja soll Hoffnung und Unsterblichkeit, Glück und Ruhe symbolisieren. "Wir sind noch nicht so weit, dass wir das Weihnachtsfest ganz am 25. Dezember feiern, wie viele unserer Freunde in Kiew", sagt Vater Maksym Berdnyk. "Wir gehen den Weg nach Westen, was unsere Traditionen angeht, Stück um Stück."

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