Süddeutsche Zeitung

Türkei:Politischer Patriarch

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Eigentlich hält er sich sonst mit politischen Statements zurück, aber zu den Überlegungen der Regierung, die Hagia Sophia als Moschee zu nutzen, äußert sich Bartholomäus I. kritisch.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

In der Debatte um die Umwand-lung der Hagia Sophia in eine Moschee ap-pelliert der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel an die Türkei, das 1500 Jah-re alte Bauwerk als Museum und damit als Ort der Begegnung von Islam und Christen-tum zu erhalten. Während einer Messe in Istanbul sagte Patriarch Bartholomäus I. am Dienstag, "das türkische Volk hat die große Verantwortung und hohe Ehre, die Universalität dieses herausragenden Bau-werks" zu erhalten. Er warnte ausdrücklich davor, dass die frühere byzantinische Kirche durch die Umwandlung in ein islamisches Gebetshaus "im 21. Jahrhundert zur Ursache für Konfrontation und Konflikt" werden könnte. Diese Entscheidung werde "Millionen von Christen weltweit enttäuschen". Einzig als Museum könne die Hagia Sophia "als Ort und Symbol der Begegnung, des Dialogs und des friedlichen Zusammenlebens der Völker und Kulturen" dienen. So könne sie Ort "des gegenseitigen Verständnisses und der Solidarität zwischen Christentum und Islam" sein.

900 Jahre lang diente die Hagia Sophia als orthodoxes Gotteshaus

Da sich Patriarch Bartholomäus als geistlicher Führer der winzigen Minderheit der griechisch-orthodoxen Christen in der Türkei sonst nie politisch äußert, zeigen seine Worte, wie ernst die Kirchenführung in Istanbul die Debatte um den von Regierungsmitgliedern bis hoch zu Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan debattierten Plan nimmt, die frühere byzantinische Kirche wieder als Moschee zu nutzen. In regierungskritischen Medien wird vermutet, der Staatschef wolle so von der schlechten Wirtschaftslage, der Corona-Krise und seinen sinkenden Umfragewerten ablenken.

Die vor 1500 Jahren errichtete Hagia So-phia diente 900 Jahre lang als orthodoxes Gotteshaus. Nach der Eroberung Konstan-tinopels 1453 durch die Osmanen wurde die Krönungskirche der byzantinischen Kaiser in eine Moschee umgewandelt. Nach dem Untergang des osmanischen Reichs nach dem Ersten Weltkrieg wandelte der Gründer der modernen türkischen Republik, Kemal Atatürk, die Hagia Sophia 1935 im Zuge seiner laizistischen Politik in ein Museum um.

Am Donnerstag wird der Verwaltungsgerichtshof darüber entscheiden, ob Atatürks Erlass rechtsgültig ist oder ob das zum Weltkulturerbe zählende Gebäude wieder als islamisches Gebetshaus genutzt werden darf. Anlass der Entscheidung ist die Klage eines Vereins, der die Rückumwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee betreibt und dies im Falle anderer ehemaliger Kirchen in der Türkei bereits durchgesetzt hatte.

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Quelle:
SZ vom 01.07.2020
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