Süddeutsche Zeitung

Türkei:Laizismus auf der Anklagebank

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Darf in der Hagia Sophia wieder gebetet werden? Ein türkisches Gericht nimmt sich viel Zeit in dieser Frage.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Das Oberste Verwaltungsgericht der Türkei wird in zwei Wochen bekannt geben, ob die Hagia Sophia als Moschee genutzt werden darf. Der Streit um die ehemals wichtigste christliche Kirche und spätere Moschee, die seit 1935 in Istanbul nur noch als Museum genutzt wird, war vor wenigen Wochen ausgebrochen. Für Donnerstag war eigentlich mit der Bekanntgabe des Urteils gerechnet worden. Das Gericht in Ankara wollte nach der Anhörung nun aber erst seine schriftliche Begründung ausarbeiten und diese in spätestens 15 Tagen bekannt geben.

Die Forderung, dass Muslime in der Hagia Sophia wieder beten dürfen, hatte zu heftiger Kritik in der Türkei und im Ausland geführt. Griechenland und die USA hatten zur Verärgerung Ankaras nachdrücklich appelliert, den Status als Museum beizubehalten. Das türkische Außenministerium hatte daraufhin an Washingtons Adresse gerichtet erklärt: "Niemand hat das Recht, über unsere souveränen Rechte zu sprechen mit dem Unterton von ,Wir bitten nachdrücklich, wir fordern'."

Die Frage ist juristisch schwierig und politisch aufgeladen. Die Befürworter argumentieren, dass Sultan Mehmed der Eroberer die Kirche nach der Eroberung Konstantinopels 1453 auf Ewigkeit in eine Moschee umgewandelt habe. Kritiker sehen in der beabsichtigten Nutzung des Museums als islamisches Gebetshaus hingegen einen Bruch mit der säkularen Tradition der türkischen Republik: Kemal Atatürk als Gründer der modernen Türkei hatte die Hagia Sophia 1934 per Kabinettsbeschluss von einer Moschee in ein Museum umgewandelt und so seine Politik eines laizistischen Staatswesens unterstrichen.

Das Verwaltungsgericht in Ankara hörte den Kläger am Donnerstag an: Es ist der Vorsitzende eines dubiosen kleinen Vereins in Bursa, der sich die Umwandlung ehemaliger Kirchen in Moscheen zur Aufgabe macht. Er fordert nun auch die Rückumwandlung der einst bedeutendsten christlichen Kirche weltweit. Er begründet dies damit, dass das Gebäude 1453 nach der Eroberung Konstantinopels, des heutigen Istanbul, dauerhaft in eine Moschee umgewandelt worden sei. Zudem stellt er die Echtheit von Atatürks Unterschrift unter dem Dekret von 1934 in Frage.

Der Anwalt des Klägers sagte der SZ, die Staatsanwaltschaft habe zwar eindeutig auf Erhalt als Museum plädiert. Der Kläger sei aber guter Hoffnung, dass die Möglichkeit der Umwandlung in eine Moschee bestehe: "Wir haben diesen Prozess eröffnet, um ihn zu gewinnen."

Wie der türkische Dienst der BBC meldete, sieht das Gericht die Entscheidung offenbar weniger als juristische, denn als politische Frage an. So soll der Staatsanwalt argumentiert haben, dass Atatürk die Hagia Sophia 1934 per Kabinettsbeschluss in ein Museum umgewandelt habe. Daher obliege es auch heute der türkischen Führung - und damit dem Staatspräsidenten - über die Nutzung zu entscheiden.

Wenn das Gericht die Entscheidung im Laufe der kommenden 14 Tage bekannt gibt, würde dies genau vor den Jahrestag des gescheiterten Putsches vom 15. Juli 2016 fallen. Kritiker behaupten, Präsident Erdoğan wolle den Tag seines Siegs über die Putschisten mit einem Gebet in der Hagia Sophia begehen.

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SZ vom 03.07.2020
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