Süddeutsche Zeitung

Türkei kritisiert Israel:Erdogan benutzt Gaza-Krieg für Wahlkampf

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Der türkische Premier Erdogan will mit scharfer Kritik an Israel Stimmen gewinnen und gefährdet so seine Rolle als Vermittler.

Kai Strittmatter

Die Türkei ist der beste Freund Israels in der muslimischen Welt. Die Armeen der Länder arbeiten eng zusammen. Und ihre angestrebte Rolle als neue Regionalmacht versuchte die Türkei zuletzt dadurch zu untermauern, dass sie zwischen Israel und seinen Feinden vermittelte.

In Geheimgesprächen arbeitete Ankara an einer Annäherung zwischen Israel und Syrien. Diesen Vermittlungsversuch hat der Einmarsch in Gaza aber vereitelt. Das besondere Verhältnis zwischen Ankara und Jerusalem wird einer schweren Prüfung unterworfen.

Die türkische Regierung hat Israel scharf angegriffen. Fast kein Tag vergeht, ohne dass Premier Tayyip Erdogan zeigt, wo seine Sympathie liegt. Diese Woche besuchte er demonstrativ ein Krankenhaus in Ankara, in dem verletzte Palästinenser behandelt werden. Am Dienstag ordnete die Regierung eine Schweigeminute in allen Schulen an, um der palästinensischen Toten zu gedenken.

Erdogan nannte das Vorgehen Israels "Barbarei". Auf einer Wahlkampfveranstaltung sagte er, Israel vollbringe "unmenschliche Taten", die "seine Selbstzerstörung" herbeiführen würden: "Gott wird die bestrafen, die sich an Unschuldigen vergehen." Er sprach von einem "Fluch", der Israel heimsuchen werde.

Es war der Tonfall, der nicht nur Israel überraschte. Auch die türkische Presse registrierte erstaunt, dass Erdogan in seiner Schärfe sogar die meisten Regenten der arabischen Welt weit hinter sich ließ. "Drei Führer, ein Ziel", titelte die regierungskritische Zeitung Vatan sarkastisch und stellte Premier Erdogan in eine Reihe mit Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad und Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi.

Weshalb aber schlägt Erdogan diese Schärfe an? Es ist Wahlkampf in der Türkei, im März sind Kommunalwahlen. Die israelfreundliche Politik war immer eine Sache der Eliten; das Volk steht bei jeder neuen Krise auf Seiten der Palästinenser. Selten aber waren in der Türkei so viele Menschen auf die Straße gegangen, um gegen Israel zu demonstrieren, wie beim jüngsten Nahost-Konflikt. Es ist auch dem Populismus geschuldet, wenn der Premier streuen lässt, er habe der israelischen Außenministerin Tzipi Livni einen Besuch in Ankara verweigert.

Beobachter sind sich einig, dass Erdogan den regionalen Einfluss der Türkei erst einmal stark geschmälert hat. An irreparable Schäden im Verhältnis zu Israel glaubt aber vorerst keiner. "Dazu brauchen beide Nationen einander zu sehr", sagt Lale Sariibrahimoglu, eine aufs Militär spezialisierte Kolumnistin in Ankara. Und Erdogan selbst meinte kürzlich: "Jene, die verlangen, die Beziehungen zu Israel einzufrieren, möchte ich daran erinnern, dass wir die türkische Republik führen, keinen Tante-Emma-Laden."

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Quelle:
SZ vom 15.01.2009/sekr
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