Süddeutsche Zeitung

Tschetschenien:Krieg gegen Frauen

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Sieben Frauen wurden in Tschetschenien in drei Tagen erschossen. Präsident Kadyrow erklärt die Opfer für mitschuldig an ihrem Tod - und betreibt so die heimliche Islamisierung seiner Republik.

Sonja Zekri

In Tschetschenien ist ein neuer Krieg ausgebrochen, der dritte. Es ist ein "Krieg gegen Frauen", schreibt das russische Tabloid-Blatt Moskowskij Komsomolez. Innerhalb von drei Tagen wurden in der Kaukasus-Republik sieben weibliche Leichen gefunden, sechs am Mittwoch, eine, wie nun bekannt wurde, am Freitag.

Bis auf eine waren die Frauen zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt. Alle wurden aus nächster Nähe erschossen, mit Kalaschnikow-Gewehren oder Makarow-Pistolen. Die Patronenhülsen lagen neben den Leichen. Gestohlen wurde nichts, weder Goldschmuck noch Geld noch teure Kleidung.

Die Leichen lagen in einem Vorort von Grosny oder am Straßenrand nach Schatoi, zur Schau gestellt nach exekutionsartigen Morden.

Der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow gab sich entsetzt. Die Mordserie sei "durch keine Traditionen" gerechtfertigt, sagte er anfangs. Am Montag aber fügte er hinzu, möglicherweise hätten sich die Frauen eines "amoralischen" oder "unwürdigen Benehmens" schuldig gemacht. Ausgerechnet der Menschenrechtsbeauftragte Nurdi Nuschijew ergänzte, es gebe bedauerlicherweise "Frauen, die den Verhaltenskodex der Bergbewohner vergessen", da schritten die Verwandten eben gelegentlich zur Selbstjustiz.

Unter das Kopftuch zwingen

Kadyrow propagiert seit Jahren einen autoritären Islam und zwingt Frauen das Kopftuch auf - was die russische Verfassung verbietet. In einem SZ-Interview hat er dies als Strategie präsentiert, um die Ordnung wiederherzustellen und den islamistischen Kämpfern, die den Kaukasus in einen Scharia-Staat verwandeln wollten, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Experten betrachten die schleichende Islamisierung des Kaukasus allerdings als Schritt zur Loslösung von Russland.

Vier Monate nach dem Georgien-Krieg ist keiner der russischen Konflikte im Kaukasus beigelegt. Auch Moskaus Versuch, die Nachbarrepublik Inguschetien zu beruhigen, blieb bislang erfolglos. Nachdem die Republik über Monate auf einen Bürgerkrieg hinzusteuern schien, entließ Moskau Anfang November überraschend den Präsidenten Murat Sjasikow, den sowohl die islamistischen Kämpfer als auch die säkulare Opposition als Hauptschuldigen für Folter und Mord betrachteten. Unter Sjasikow hatte sich die Zahl der Arbeitslosen vervierfacht. Obwohl Moskau Milliarden Rubel in die Republik schickt, ist das Durchschnittseinkommen eines der niedrigsten des Landes.

Neuer Präsident wurde Junus-Bek Jewkurow, ein hochdekorierter Offizier, der nicht nur im zweiten Tschetschenienkrieg kämpfte, sondern 1999 jene russische Fallschirmspringer kommandierte, die den Flughafen von Pristina besetzten und sich den Nato-Truppen in den Weg stellten, aus russischer Sicht bis heute eine militärische Großtat.

Die Opposition begrüßte die Ernennung Jewkurows, zumal da dieser bereits nach wenigen Tagen durchblicken ließ, dass er den Fall des getöteten Journalisten und Geschäftsmannes Magomed Jewlojew neu aufrollen wolle. Jewlojew war Besitzer der kritischen Internet-Seite ingushetiya.ru (heute ingushetia.org). Ende August war er auf dem Flughafen in Nasran festgenommen worden und im Polizeigewahrsam durch einen Schuss in den Kopf gestorben. Die Staatsanwaltschaft hatte von "fahrlässiger Tötung" gesprochen, aber der Fall fand international Aufmerksamkeit und besiegelte das Ende Sjasikows.

Konflikte in Inguschetien

Wenige Tage nach dem Amtsantritt Jewkurows kondolierte dieser der Familie Jewlojews, das Oberste Gericht der Republik hob die Entscheidung des Regionalgerichtes auf und ermittelt nun wegen "vorsätzlicher Tötung". "Der Machtwechsel hat die Gerichte befreit, nun können sie objektiv entscheiden", sagte Musa Plijew, der Anwalt der Familie Jewlojews, der Zeitung Kommersant. Zudem berief Jewkurow einstige Gegner Sjasikows in sein Kabinett wie den neuen Premier Raschid Gaisanow.

Er ist ein Weggefährte des inguschetischen Ex-Präsidenten Ruslan Auschew, den viele Inguschen am liebsten an der Spitze der Republik sehen würden. Inzwischen wurde zudem bekannt, dass der Kreml einen neuen Innenminister nach Inguschetien entsendet, Ruslan Mejriew. Der bisherige Amtsinhaber Musa Medow wurde ins Moskauer Innenministerium fortgelobt. Nach Ansicht der Opposition ist auch er in den Fall Jewlojew verstrickt.

Nach einem kurzen Abflauen häufen sich dennoch wieder blutige Zwischenfälle. Vor wenigen Tagen griffen Unbekannte mit Granatwerfern das Haus eines regionalen Leiters des Innenministeriums an. Kurz darauf wurde auf der Straße Rostow-Baku ein Polizist durch Schüsse aus einem Auto getötet, das er gerade durchsucht hatte.

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SZ vom 02.12.2008/gba
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