Süddeutsche Zeitung

Tschechien:Aufgespürt in der Schweiz

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Die Korruptionsaffäre um Premierminister Babiš entwickelt sich immer mehr zum Familiendrama: Ließ er seinen Sohn entführen, damit der nicht als Zeuge aussagen kann?

Von Viktoria Großmann, Prag

In dem Video, das am Montag veröffentlicht wurde und seither die tschechische Öffentlichkeit beschäftigt, ist ein Mann zu sehen, der sagt, dass er Angst hat - vor einem Angestellten seines Vaters. Gegen seinen Willen sei er auf die Halbinsel Krim gebracht und dort festgehalten worden. Er hat deshalb die Polizei eingeschaltet.

Der 35-Jährige heißt Andrej Babiš, genauso wie sein Vater, der Premier der Tschechischen Republik ist und der liberal-populistischen Bewegung Ano vorsitzt. Der Sohn gilt als Hauptzeuge in der sogenannten Storchennest-Betrugsaffäre. Babiš senior, der zweitreichste Mann Tschechiens, soll unrechtmäßig 50 Millionen Euro an EU-Subventionen für ein Bauprojekt erhalten haben. Seinen Aufstieg hat das bisher nicht gebremst. Nun fordert die Opposition seinen Rücktritt. In einer Woche soll im Parlament darüber abgestimmt werden, ob die Regierung noch das Vertrauen genießt. Für diesen Samstag waren Proteste gegen Babiš geplant, etwa in der Studentenstadt Brno. Schon am Donnerstag hatten sich auf dem Wenzelsplatz in Prag etwa 10 000 Menschen versammelt.

Die Causa Storchennest reicht zurück ins Jahr 2006. Babiš, gebürtiger Slowake, der offenbar in den Achtzigern für den tschechoslowakischen Geheimdienst arbeitete, was er bestreitet, war damals noch kein Politiker. Den Namen Storchennest erhielt das Konferenz- und Erholungszentrum im mittelböhmischen Olbramovice wegen des Hauptbauwerks auf dem Areal, das aussieht wie ein Vogelnest. Um EU-Subventionen zu erhalten, soll Babiš Scheinfirmen gegründet haben. Später erklärte er, diese gehörten seinen Kindern. Dahinter soll jedoch sein Unternehmen Agrofert stehen. Im Frühjahr 2016 beginnt die EU-Antibetrugsbehörde Olaf zu ermitteln. Insgesamt stehen sieben Menschen im Verdacht, am Betrug beteiligt zu sein, darunter ein Sohn und eine Tochter des Premiers.

Der Sohn sagt, man habe ihn gezielt verschwinden lassen - wegen der Causa Storchennest

Nun ist die Affäre zum Thriller geworden: Entführung, russische Kontakte, Familienstreit. Die neueste Wendung nahm der Fall, als Journalisten des Onlinemediums seznam.cz Andrej Babiš junior nach einem halben Jahr Suche in der Schweiz aufgespürt haben. Er galt zwei Jahre lang als verschwunden. Der Sohn behauptet, er habe etwas unterschrieben, wisse aber nicht, was. Ein Mitarbeiter von Agrofert, ein Ukrainer mit russischen Wurzeln, habe ihn auf die von Russland völkerrechtswidrig annektierte Krim gebracht. Der Premier, Babiš senior, erklärte der Presse inzwischen, sein Sohn leide an Schizophrenie, seine ebenfalls in die Betrugsaffäre verwickelte Tochter an einer bipolaren Störung.

"Du gehst in eine Anstalt oder in die Ferien", habe der Ukrainer gesagt, so erzählt es der Sohn den Reportern. Er sei gegen seinen Willen auf der Halbinsel festgehalten worden, damit er in der Causa Storchennest nicht aussagen könne. "Er hat ausgenutzt, dass mein Vater wollte, dass ich verschwinde", sagt Babiš junior. Die Frau des Agrofert-Mitarbeiters hat im Oktober für die Ano-Bewegung bei den Kommunalwahlen kandidiert. Sie ist Psychiaterin und soll ein Attest ausgestellt haben, wonach der Sohn nicht vernehmungsfähig sei. Den Reportern sagte Babiš junior, er habe Schreckliches durchgemacht und nehme Medikamente, doch wie man höre, "spreche ich fließend Tschechisch". Er wolle kein Verfahren, als unmündig gelten will er aber offenbar auch nicht.

Babiš senior erklärte am Freitag, er werde "niemals" zurücktreten. Zugleich bedankte er sich bei Präsident Miloš Zeman, der ihm zur Seite gesprungen war: Sollte das Parlament dem Premier das Vertrauen entziehen, werde er es ihm erneut aussprechen. In Tschechien wird nun heiß diskutiert, wer hier wen ausgenutzt hat: der Mitarbeiter der väterlichen Firma die Lage des Sohnes? Oder machen die Medien Jagd auf Familie Babiš, wie der Vater sagt? Was ist von dem Video zu halten, auf dem der angeblich kranke Sohn scheinbar klare Aussagen trifft? Die Polizei hat ihn offenbar noch nicht befragt.

Der Fall wühlt das Land auf. Diesmal sind es nicht nur die Prager und andere Städter, die finden, dass es so nicht weitergehen kann. In einer Umfrage wünschten sich 27 Prozent den Rücktritt des Premiers, weitere 29 Prozent wollen eine neue Regierung.

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Quelle:
SZ vom 17.11.2018
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