Süddeutsche Zeitung

Wahlen in Thailand:Wie sich die Generäle an der Macht halten wollen

Lesezeit: 5 min

Von Arne Perras, Bangkok

General Prayuth Chan-ocha posiert neuerdings für Fotos der lässigen Art, auf einem der Bilder hat er sich ein sportliches Sakko übergeworfen, ein anderes zeigt ihn mit Baseballkappe und Hipster-Jacke, den Kragen locker nach oben geschlagen. Ein drittes Foto konzentriert sich auf sein Gesicht, lächelnd stützt der thailändische General das Kinn in seine Hände, wie der nette Onkel von nebenan.

Prayuth hat seine Bewunderer, aber viele erachten die Modenschau des Generals als peinlich. Ein Kommentator der Bangkok Post warf die Frage auf, ob Prayuths Strategen denn im Ernst glaubten, dass die Leute auf solche Tricks vor der Wahl hereinfallen. Schließlich ist Prayuth das Gesicht der Putschisten, die 2014 die Macht an sich rissen. Die Thailänder haben erlebt, wie die Junta mit harter Hand regiert, wie sie den Bürgern Freiheiten raubt, Kritiker gängelt und einsperrt. Und nun soll ein lässiger Anzug und ein kumpelhaftes Lächeln alles vergessen machen? "Prayuth und sein Wahlkampfteam versuchen, das Bild des konservativen, aggressiven und unbeherrschten Mannes aus dem Gedächtnis der Leute zu streichen", schreibt Kolumnist Soonruth Bunyamanee. "Aber das erhöht seine Chancen nicht".

Der regierende General scheint das anders zu sehen, er zieht seine Show durch, die neuen Kleider sind Programm: Am Sonntag wählen die Thailänder das Parlament, mehr als 51 Millionen Bürger sind aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Und auch die Armee schickt ihre Kandidaten ins Rennen, sie hat dafür eine eigene Partei, Palang Pracharat, in Stellung gebracht, die Prayuth dazu verhelfen soll, auch nach dem 24. März Premier zu bleiben.

Die Generäle unterwerfen sich einer Wahl, das sieht so aus, als würden sie nun demokratische Prinzipien akzeptieren. Doch die Regeln für den Urnengang haben sie selbst geschrieben, um ihre Macht zu legitimieren und in die Zukunft hinüberzuretten. "Wir erleben noch nicht die Rückkehr zur Demokratie", sagt Virot Ali, Politologe an der Thammasat University. Allenfalls markiere der Tag einen ersten zaghaften Schritt in diese Richtung.

Auch Künstler beschäftigen sich mit dieser Wahl, was man in einer Galerie nahe der Einkaufsmeile Sukhumvit sehen kann. Eine steile Treppe führt in den zweiten Stock, oben steht ein Kasinotisch mit zwei Stühlen. Zwei lebensgroße Figuren in Anzügen sitzen sich gegenüber, leuchtende Köpfe aus Messing, die Männer spielen Poker. Links der ins Exil geflohene Ex-Premier Thaksin Shinawatra, rechts General Prayuth Chan-ocha. Nur dass keiner von beiden selbst die Karten in der Hand hält, das tun andere.

Aus dem Tisch ragen rätselhafte Hände heraus, man sieht nicht, wem sie gehören. Die Hand für Prayuth hält Asse bereit, die für Thaksin hat Damen gezückt. Ein faires Spiel? Der General hat zusätzlich noch Karten im Anzug stecken, sollte sich das Blatt überraschend wenden. Und die mysteriösen Hände? In der thailändischen Politik gibt es immer einen abgeschatteten Raum, in dem Kräfte agieren, die keiner ausleuchten kann. In einem Land, wo der König unantastbar über allem schwebt, werden sich thailändische Betrachter ihren Teil zur Tischordnung denken und schweigen. Das Königshaus ist durch strenge Gesetze geschützt, auf Majestätsbeleidigung stehen lange Haftstrafen.

Der Künstler, der die Installation geschaffen hat, nennt sich "Headache Stencil", ein junger rastloser Mann, Zorn liegt in seiner Stimme. Dass er sein Werk ungehindert ausstellen kann, mag verblüffen. Der Künstler sieht das als Beleg dafür, dass die Junta nun sehr dringend um Stimmen buhlt und ihr schlechtes Image aufbessern will, da passt es schlecht ins Bild, auch noch die Kunst zu gängeln.

Gewöhnlich wählt Headache Stencil keine geschlossenen Räume für seine Arbeit, seine Welt ist die Straße. Wenn er loszieht, sieht er wie ein Handwerker aus, bepackt mit Farben, Werkzeug und Schablonen. Er hat ein Tuch vors Gesicht gezogen, das wirkt nicht verdächtig, wo so viele Leute Mundschutz tragen gegen den Smog. Irgendwann, irgendwo schlägt er dann zu. Klebt Schablonen und sprüht los.

Er mache das, weil er wütend sei, "aber auch wegen des Adrenalins", sagt Headache Stencil. Sein Künstlername ist Programm, den Generälen soll der Kopf brummen, wie damals, als er das Gesicht des Generals Prawit Wongsuwan in Gestalt eines Weckers an die Wand sprühte. Prawit, den manche für den mächtigsten Mann der Junta halten, hatte zu jener Zeit Mühe zu erklären, wie er in den Besitz von 24 Luxusuhren gekommen war, das regte viele Thailänder auf. Und Headache Stencil kreierte das passende Bild. Es hat zwei Tage lang gehalten, bevor es übertüncht wurde. Aber da war das Zeichen des Protests gegen den Machtmissbrauch schon geboren, die Uhr als symbolischer Weckruf, sie ließ sich nicht mehr aus dem Bewusstsein löschen.

Doch welche Wahl haben die Thailänder? Sie können sich zwischen drei Lagern entscheiden: Den Anhängern des Militärs steht eine Reihe pro-demokratischer Parteien gegenüber, außerdem gibt es jene, die sich noch nicht für eine Seite entschieden haben. Alles deutet bisher darauf hin, dass Pheu Thai, die große Partei Thaksins, stärkste Kraft im Unterhaus wird.

Thaksin gegen Prayuth: Diese Frontstellung beherrscht das Bild, auch wenn der Milliardär längst ins Exil geflohen ist und als möglicher Premier ausscheidet, wie seine Schwester Yingluck. Der Clan muss die Fäden aus der Ferne ziehen, das Thaksin-Lager hat sich auf mehrere Parteien aufgespalten, ein taktischer Zug, um eine breite "demokratische Front" gegen das Militär aufzubauen. So wie die Armee das Wahlrecht zuschneiden ließ, kann keine Partei einen großen Sieg erringen, auch die Verlierer punkten und bekommen Sitze. So versucht das Militär, das Lager des Populisten Thaksin zu schwächen.

Seit 2001 haben seine Kräfte keine Wahl verloren, es ist ihm gelungen, die Massen im ländlichen Norden und Osten zu mobilisieren. Gegen diese Mehrheit hatte das royalistisch-konservative Establishment bisher nur ein Mittel: putschende Generäle.

Nach der Machtübernahme 2014 hatte die Armee bald Wahlen versprochen, aber immer wieder verzögert. Weil die Gegner Thaksins wussten, dass sie Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip nicht gewinnen können, ließen sie eine neue Verfassung ausarbeiten. Sie soll den Einfluss der Generäle auf Dauer festzurren. Das geht so: Das Militär ernennt die 250 Senatoren im Oberhaus, das Volk wählt die 500 Sitze im Unterhaus. Wer Premier werden will, muss kein Mandat haben, braucht aber mehr als 50 Prozent aller 750 Sitze. Das bedeutet, dass die Armee nur 126 Sitze erobern muss, um, gestützt vom Senat, einen Premier zu installieren. Dann wäre der neue Premier der alte: Prayuth.

Aber geht die Strategie auf? Ein Restrisiko können die Generäle nicht ausschließen, was die pro-demokratischen Parteien, trotz so hoher Hürden, beflügelt. Zu ihnen gehört auch die "Future Forward Party", an dessen Spitze ein junger Unternehmer steht: Thanathorn Juangroongruangkit. Der 40-jährige Ingenieur stammt aus einer der reichsten Familien Thailands, er hat den Autozulieferer Thai Summit Group groß gemacht und ist erst 2018 in die Politik eingestiegen. Bei der Jugend verzeichnet der Millionär einen kometenhaften Aufstieg, der Rivalen staunen lässt.

Thanathorn empfängt im tadellosen grauen Anzug, er bittet auf ein Sofa im achten Stock der Konzernzentrale und spricht nun über seine Ziele. "Wir müssen das Militär daran hindern, an die Macht zurückzukehren", sagt er, das nennt er seine Priorität. Er nutzt vor allem die sozialen Medien, um Anhänger zu sammeln, unter den sieben Millionen Erstwählern begeistert er viele. Weil Thanathorn offene Worte gegenüber der Armee nicht scheut, haben ihm Gegner eine Anzeige wegen angeblicher Verbreitung von Unwahrheiten angehängt. Das Gesetz gegen Computerkriminalität wird oft genutzt, um Kritiker der Armee zu verfolgen. Zwei Tage nach der Wahl soll Thanathorn vor Gericht erscheinen, er nennt das eine Drohung. "Diese Wahlen sind nicht frei und fair." Premier dürfte Thanathorn kaum werden, aber er verkörpert eine neue Kraft, getragen von der Jugend, die den Stillstand satt hat.

Können alle pro-demokratischen Parteien Prayuth als künftigen Regierungschef verhindern? Für einen Moment sah es schon nach einer Sensation im Wahlkampf aus. Anfang Februar wurde bekannt, dass eine Schwester des Königs für eine der Thaksin-nahen Parteien ins Rennen gehe, um Premierministerin zu werden. Die Thailänder starrten wie gelähmt auf diese unfassbare Nachricht. Wenige Stunden später aber war die Vision schon wieder zerstoben. Der König distanzierte sich, Prinzessin Ubolratana wurde die Kandidatur untersagt, die Partei, für die sie ins Rennen gehen sollte, wurde aufgelöst. Seither rätseln alle, was es wohl mit der sagenhaften Kurzkandidatur auf sich hatte. Schwer vorstellbar, dass die Prinzessin eine Kandidatur im Alleingang, ohne jede Absprache in ihrer Familie, gewagt hätte. Irgendetwas muss wohl in letzter Minute schiefgelaufen sein, doch darüber darf niemand diskutieren.

Die Prinzessin als Kandidatin zu gewinnen, das wäre der Coup des Thaksin-Lagers gewesen, nach ihrem Rückzug hat es Prayuth wieder etwas leichter, an seiner Verwandlung zu arbeiten: Vom strengen Junta-General zum lässigen Premier.

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Quelle:
SZ vom 22.03.2019
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