Süddeutsche Zeitung

Taiwan:Nicht so schlimm

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Nach Nancy Pelosi, der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, wollen nun auch wieder deutsche Bundestagsabgeordnete Taiwan besuchen. Gute Idee?

Von Chris Cameron, Berlin

Jahrelang haben Parlamentarier und Regierungsvertreter aus Deutschland und ganz Europa Taiwan besucht, ohne großes Aufsehen oder gar internationale Verwerfungen zu verursachen. China, das die selbst verwaltete Insel als abtrünnige Provinz und Teil seines Territoriums betrachtet, kritisierte diese Reisen: Sie würden die Souveränität der Volksrepublik untergraben. Peking geißelte solche Kontakte als "unverantwortliches" Verhalten. Die Proteste wurden zur Kenntnis genommen, und beide Seiten sahen wenig später wieder darüber hinweg.

Das hat sich Anfang August grundlegend geändert nach einer lange geplanten Reise Nancy Pelosis, der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, die zu einem riskanten Kräftemessen zwischen den USA und China führte. Peking eskalierte seine Drohungen, widersprüchliche Signale von US-Regierungsstellen befeuerten die Krise. Die Ankunft Pelosis in Taipeh entwickelte sich zu einem weltweit verfolgten Spektakel. China antwortete mit den größten Militärmanövern in der Straße von Taiwan, die es je abgehalten hat, und verhängte Sanktionen gegen die Wirtschaft der demokratisch regierten Insel.

Es gab seither weitere Reisen westlicher Politiker, von denen die Kommunistische Partei manchen nur mit verbalem Protest begegnete, während sie auf andere mit neuen Militärübungen antwortete. Nun werden bald Abgeordnete des Bundestags nach Taiwan reisen und damit verbunden ist das Risiko einer Reaktion aus Peking, die etwa die Interessen deutscher Konzerne in der Volksrepublik treffen könnte. "Für BMW, Siemens und viele andere Konzerne steht in China viel auf dem Spiel", sagte Philippe Le Corre, Experte bei der Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD), die am Donnerstag Pelosi und ihre anderen Kollegen aus den G-7-Staaten in Berlin empfing, hat eine offizielle Delegationsreise von Mitgliedern des Menschenrechtsausschusses Ende Oktober genehmigt. Zuvor wollen schon Angehörige des Parlamentarischen Freundeskreises Berlin-Taipeh Taiwan besuchen.

Im Auswärtigen Amt habe man die Pläne zur Kenntnis genommen

Mitglieder des Menschenrechtsausschusses, deren Reise lange vor der jüngsten Krise geplant wurde, haben erklärt, ein Zeichen setzen zu wollen, da solche Parlamentarierreisen normal sind und Taiwan das Recht hat, offizielle ausländische Besucher zu empfangen. Sie sagten auch, die deutsche Regierung habe sie nicht davor gewarnt, nach Taiwan zu reisen.

Bevor Pelosi ihre Reise antrat, hatten US-Regierungsvertreter ihr Unbehagen über die Pläne kundgetan; Präsident Joe Biden sagte, das US-Militär sei der Auffassung, dass dies "derzeit keine gute Idee" sei. Die Washington Post berichtete später, Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping habe Biden gedrängt, Pelosi von einem Besuch in Taiwan abzuhalten.

Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes sagte, man habe die Ankündigung der Parlamentarier-Reise zur Kenntnis genommen. Deutschland unterhalte im Rahmen der Ein-China-Politik keine diplomatischen Beziehungen mit Taiwan. Daher gebe es keine Kontakte auf Ebene der souveränitätsrelevanten Ämter zu pflegen, also auf Ebene der höchsten Staatsämter und Repräsentanten der Verfassungsorgane. Unterhalb dieser Ebene pflege die Bundesrepublik aber sehr produktive Kontakte, etwa in den Bereichen Wirtschaft, Kultur, Bildung, Wissenschaft und Forschung und auch Kontakte auf parlamentarischer Ebene.

Ähnlich äußerte sich Boris Mijatović, Grünen-Abgeordneter und Mitglied im Menschenrechtsausschuss. Natürlich sei ihm bewusst, dass Taiwan kein normaler Staat sei, sagte er, dennoch seien die geplanten Gespräche "normal". Peter Heidt von der FDP, der wie Mijatović an der Reise teilnehmen will, sagte, der Ausschuss habe genau verfolgt, wie China auf ähnliche Reisen nach Taiwan reagiert habe, und halte das Risiko für tragbar. Wenn China wirklich mit Sanktionen gegen die deutsche Wirtschaft reagieren sollte, "zeigt uns das nur, dass wir nicht weitermachen können wie bisher". Und das, fügte Heidt hinzu, "denke ich für mich, wäre nicht so schlimm".

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