Süddeutsche Zeitung

SZ auf dem Tollwood:Wie sollen wir miteinander umgehen?

Lesezeit: 4 min

Dieses Jahr mit seinen Wahlbeben hat viele Gewissheiten umgeworfen. Zeit, Fragen zu stellen und mit Ihnen ins Gespräch zu kommen - über unbequeme Meinungen, fremde Sitten und nasse Schuhe.

Von SZ-Autoren

Viel ist von 2017 nicht mehr übrig. Der anstehende Jahreswechsel führt bei vielen zu innerer Einkehr, Bilanzziehen, Hinterfragen. In diesem Jahr mit seinen Rechtsdriften, der Bundestagswahl und den nun spürbaren Nachbeben vielleicht umso mehr. Wie wollen wir miteinander umgehen? Welche Werte sollen uns leiten? Was lernen wir aus den Debatten dieses Jahres? Zu solchen Fragen will die SZ mit Ihnen ins Gespräch kommen - in diesem Artikel und auf dem Tollwood in München.

Nach dem Projekt Democracy Lab sind in der Vorweihnachtszeit jeden Mittwoch, Donnerstag und Freitag SZ-Autoren im Wohnzimmer der Demokratie auf dem Festivalgelände, die sich auf den Austausch mit Ihnen freuen (mehr dazu hier). Vorab haben sich Redakteure zu Grundbegriffen unserer Gesellschaft Gedanken gemacht - und das Prinzip der beliebten Gewissensfrage aus dem SZ-Magazin ins Gegenteil verkehrt. Nun sind Sie, liebe SZ- Leser gefragt: Wie würden Sie sich verhalten? Schreiben Sie uns über das Formular am Ende des Artikels.

Zivilcourage: Vom Sinn eines Konflikts

Zivilcourage - was ist das überhaupt? Und in welchen Situationen ist es richtig, als Bürger mutig zu sein und sich einzumischen? Dazu ein Szenario, das ich in ähnlicher Form zweimal in letzter Zeit erlebt habe. Ich bin mit der Münchner S-Bahn gefahren. Draußen war es nass und kalt, drinnen laut. In der Bahn saß ich inmitten von Schülern, vor allem pubertierende Jungs, die sich lautstark unterhielten.

Einige von ihnen hatten ihre Füße hochgelegt. Ihre Schuhe machten die gegenüberliegenden Sitze feucht und schmutzig. Die Frage, die ich mir damals gestellt habe: Soll ich die Schüler auffordern, die Füße von den Sitzen zu nehmen, im Interesse des Nächsten, der sich auf den Platz setzen würde? Auch auf die Gefahr hin, dass die Jungs sich weigern oder sogar aggressiv werden? Oder ist der Anlass zu banal, um einen Konflikt heraufzubeschwören? Was hätten Sie an meiner Stelle getan?

Oliver Das Gupta, Politikredakteur SZ.de

Respekt: Von der Schwierigkeit, Hände zu schütteln

Sie sind zum ersten Mal zu Besuch bei neuen Nachbarn. Die Frau trägt Kopftuch, ansonsten ist alles sehr bürgerlich, es weist auf den ersten Blick jedenfalls nichts auf die eine oder andere Religion hin. Nur - die Frau (wenn Sie ein Mann sind), weigert sich, Ihnen die Hand zu schütteln. Wenn Sie eine Frau sind, dann ist es der Mann, der sich weigert. Was tun Sie?

Auf den zweiten Blick entdecken Sie aber, dass da ein Koran auf dem Sofatisch liegt und an der Wand das Bild einer Moschee hängt. Und nun kommen auch die Kinder aus dem Nebenzimmer, ein Junge, ein Mädchen, beide keine Kinder mehr, aber auch noch keine richtigen Jugendlichen. Beide kommen strahlend auf Sie zu und wollen Ihnen die Hand schütteln. An den Blicken der Eltern erkennen Sie, dass die das nicht gerne sehen. Schütteln Sie nun beiden die Hand?

Noch eine Variante. Wieder mit den Eltern, von denen sich einer der beiden weigert, wieder die beiden freundlichen Kinder. Nur sehen Sie jetzt auf den zweiten Blick eine Menora auf dem Regal, den siebenarmigen Leuchter, eines der wichtigsten Symbole des jüdischen Glaubens. Was tun Sie bei den Eltern? Was bei den Kindern?

Andrian Kreye, Feuilleton-Ressortleiter SZ

Meinungsfreiheit: Von unliebsamen Diskussionen

In Deutschland ist klar geregelt, was man sagen darf und was nicht. So steht zum Beispiel die Leugnung des Holocaust unter Strafe, aber Pegida-Anhänger dürfen sich in der Öffentlichkeit durchaus laut und mitunter deutlich darüber Gedanken machen, was beispielsweise mit kriminellen Ausländern zu tun sei. Das entspricht zwar nicht meiner Meinung, ist aber nicht unbedingt illegal. Die deutsche Demokratie - das hoffe ich - ist so stark, dass sie das aushält. Ich stelle mir aber immer häufiger die Frage, ob ich das, was die deutsche Demokratie aushalten muss, auch persönlich aushalten will. Und ob ich das sollte.

Ein Beispiel: Früher wohnte ich in einem Haus mit einer sehr rechtskonservativen Nachbarschaft, im Hausflur und bei Festen gerieten wir in Diskussionen immer häufiger aneinander. Bevor so viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen, kannte ich die politische Einstellung meiner Nachbarn überhaupt nicht und ich hätte auch immer behauptet, sie sei mir egal. Danach wurde mir aber immer klarer, dass das nicht so war. Ich zog mich zurück, mied die Diskussionen, weil ich sie anstrengend und fruchtlos fand, und brach nach und nach den Kontakt ab.

Aber ich frage mich: Habe ich damit nicht eine Chance vertan, andere von Positionen zu überzeugen, die ich für richtig, ja moralisch richtiger halte? Und müsste ich nicht zugleich jedem zugestehen, eine andere Meinung zu haben als ich und mich damit auseinandersetzen? Was glauben Sie?

Julia Bönisch, Chefredakteurin SZ.de

Gerechtigkeit: Von einem Streit um ein Spielzeug

Sonntagnachmittag im Garten, ein Freund hat zum Sommerfest geladen. Ein paar der Gäste haben ihre Kinder dabei. Und eines der Kinder, laut unüberhörbarer Selbstauskunft ein Indianer, jedenfalls mit einer Menge von Mamas Schminke im Gesicht, präsentiert Pfeil und Bogen. Selbst gebastelt. Was gibt es für Kinder Spannenderes? Plötzlich jedenfalls haben mehrere der jungen Gäste sehr gute Gründe dafür, warum nur ihnen das Spielzeug zustehe. Ein Mädchen war schon mal im Bogensportverein, ganz klar, ein erfahrener Profi, der am besten damit umgehen kann. Ein Bub hat, im Gegensatz zu den anderen, kein eigenes Spielzeug dabei und der Indianer selbst hat ja am Vortag mehrere Haselnussstecken eigenhändig zu dem großen Bogen zusammengebunden. Beziehungsweise seinem Vater dabei zugesehen.

An diese Szene habe ich mich erinnert, als ich Jahre später eine Parabel des Ökonomie-Nobelpreisträgers Amartya Sen las. Darin stritten die Kinder um eine Flöte und die Ansprüche wurden mit ähnlichen Argumenten verteidigt: mit den eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten der Nutzung, mit Bedürftigkeit und mit Besitz beziehungsweise Leistung. Die Parabel - und die Szene im Garten - machen deutlich, wie schwer es ist, zu entscheiden, was gerecht ist. Ist gerecht, was nützt? Ist der entscheidende Punkt Solidarität? Oder ist gerecht, was dem Einzelnen möglichst viele Freiheiten lässt? Es gibt nicht eine Antwort auf die so komplexe Gerechtigkeitsfrage. Immer wieder muss deshalb über ganz konkrete Fälle gestritten werden, um nicht dem Gesetz des Stärkeren zu folgen. Am Sonntagnachmittag mussten die Kinder dann jedenfalls Fußball spielen, weil sie sich nicht einigen konnten. Und die erwachsenen Kinder wollten unbedingt Pfeil und Bogen ausprobieren. Wie wären Sie mit der Situation umgegangen?

Sebastian Gierke, stellvertretender Politik-Ressortleiter SZ.de

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3751927
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/sebi
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.