Süddeutsche Zeitung

Syrien-Gespräche:Das Misstrauen sitzt mit am Tisch

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Zu Beginn des Treffens steht es um die Stimmung zwischen Amerikanern und Russen nicht zum Besten - auch weil die USA Syriens Opposition eingeladen haben.

Von Paul-Anton Krüger, München

Morgens um Viertel nach sieben ist Mohammed Dschawad Sarif noch ziemlich entspannt. Der iranische Außenminister sitzt auf Platz 4 A im Lufthansa-Flug 094 von Frankfurt nach München. Er trägt schon Uniform, also schwarzen Nadelstreifen mit weißem Hemd, als Iraner natürlich ohne Krawatte. Die gilt in der Islamischen Republik als Zeichen westlicher Dekadenz. Auf dem Smartphone beantwortet er E-Mails, und er findet Zeit, zwei einsteigenden Kinder zuzuwinken. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, dann vertieft er sich wieder in die Arbeit.

470 000 Syrer sollen dem Krieg schon zum Opfer gefallen sein, so eine neue Studie

So wie er schweben 14 weitere Außenminister in der bayerischen Landeshauptstadt ein, um über Syrien zu reden. Es trifft sich die Internationale Gruppe der Syrien-Unterstützer, von Diplomaten auch "Wiener Format" genannt. In ihr sind 17 Länder versammelt, von denen die einen auf Seiten des Regimes von Baschar al-Assad stehen und die anderen auf der Seite der Rebellen, zuvorderst Russland und die USA, aber auch Iran und Saudi-Arabien. John Kerry und Sergej Lawrow hatten diese Gespräche vereinbart; erstmals traf man sich im Oktober in Wien, daher der Name Wiener Format. Die Idee: Ein Korsett zu schaffen, das es den Syrern ermöglicht, in Gesprächen zwischen Opposition und Regime eine Verhandlungslösung zu finden.

Diese Verhandlungen in Genf sind unterbrochen, und noch ist nicht klar, ob sie jemals fortgesetzt werden. In Syrien bombardiert die russische Luftwaffe weiter Aleppo und andere Rebellen-Gebiete; die Wasserversorgung der Millionenstadt ist laut Hilfsorganisationen unterbrochen. Eine neue Studie fasst den Schrecken des Krieges nochmals in Zahlen. 470 000 Syrer sollen ihm schon zum Opfer gefallen sein, hat das Syrische Zentrum für Politikforschung ermittelt. 400 000 wurden demnach bei Kämpfen getötet, weitere 70 000 starben, weil sie keine ausreichende medizinische Versorgung, sauberes Wasser oder Unterkünfte gehabt hätten. Die UN haben bei 250 000 Toten aufgehört zu zählen; diese Zahl ist sicher bei weitem zu niedrig.

Das Münchner Treffen, der an diesem Freitag beginnenden Sicherheitskonferenz vorgeschaltet, könnte in dieser Situation zum entscheidenden werden. Aus der Delegation von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier heißt es vor Beginn der Gespräche, es gehe darum, jetzt mit den entscheidenden Akteuren zu sondieren, welche politischen Spielräume "für die notwendigen Schritte Richtung Gewaltreduktion und humanitärer Zugang bestehen". Die entscheidenden Akteure, das sind vor allem Russland und die USA.

Bereits am Mittwoch hatte Steinmeier deswegen lange mit Lawrow telefoniert. Am Donnerstagnachmittag jagte eine letzte Abstimmungsrunde die nächste. Kolonnen schwarzer Limousinen preschten mit Polizeieskorte durch München. Die Delegationen sind in verschiedenen Fünf-Sterne-Hotels einquartiert. Ein Minister fährt zum anderen. Die Diplomatie platzt mancherorts etwas unvorhergesehen herein. Dort, wo Saudi-Arabiens Außenminister Adel al-Jubeir einquartiert ist, tagt gerade auch ein großer Kosmetikkonzern. Sicherheitsleute mit Knopf im Ohr und Spürhunden an der Seite stehen zwischen jungen Damen in kurzen Röcken. Al-Jubeir rauscht mit seinem Gefolge durch die Lobby, er hat noch ein Treffen mit dem Kollegen aus Katar vor sich.

Niemand will zu diesem Zeitpunkt seine Karten offen zeigen. "Es steht sehr viel auf dem Spiel", sagt einer der Verhandlungsteilnehmer unter dem Schutz der Anonymität. Harte Gespräche würden das werden. Steinmeier begrüßt immerhin vorsichtig "die im Vorfeld erkennbar gewordene Bereitschaft auf vielen Seiten, über konkrete Schritte zu einer Verringerung der Gewalt und zur Eindämmung der Kämpfe zu beraten". Andere Quellen sprechen davon, Lawrow und Kerry wollten die Kontrolle über den Prozess behalten. Die beiden haben ihre Namen und ihr Renommée mit den Verhandlungen verbunden; sie haben den nötigen Einfluss, um Rebellen und Regime zu Kompromissen zu zwingen.

Das Misstrauen ist groß. Es habe vernehmbar geknirscht zwischen Russen und Amerikanern, sagt einer, der im Bilde ist über den Stand der Gespräche. Die Amerikaner und die Saudis haben die syrische Opposition nach München geholt. Das soll klarmachen, dass nicht über deren Köpfe hinweg entschieden wird. Das Ziel ist ein Waffenstillstand, wie er in der UN-Resolution gefordert wird, mit der die Ergebnisse der Wiener Gespräche in verbindliche Form gegossen wurden. Es soll zugleich ein Test sein, ob sich die Russen dem Prozess noch verpflichtet fühlen. "Das werden wir spätestens in zehn Tagen wissen", heißt es. Eine lange Zeit für jene, die in Syrien vor den Bomben fliehen müssen.

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SZ vom 12.02.2016
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