Süddeutsche Zeitung

Syrer:Der lange Arm des deutschen Gesetzes

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Er kam als Flüchtling nach Deutschland: In Stuttgart steht ein Syrer nun wegen Kriegsverbrechen und Terrorhilfe in Syrien vor Gericht.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Suliman al-S. galt nach seiner Ankunft in Deutschland als einer dieser mustergültigen syrischen Flüchtlinge: allem Anschein nach beseelt von dem Wunsch, ein neues Leben zu beginnen und seine Angehörigen nachzuholen. Am 21. Januar wurde er in Backnang auf offener Straße von maskierten Beamten eines Mobilen Einsatzkommandos verhaftet. Seither gilt er als einer dieser Syrer, die den Deutschen Angst machen. Der 25-Jährige soll einer Terrorgruppe angehört haben und beteiligt gewesen sein an der Entführung eines UN-Mitarbeiters in Syrien. Der Generalbundesanwalt wirft ihm Kriegsverbrechen vor.

Mit einem weißen Pflaster auf der rechten Wange erschien Suliman al-S. am Donnerstag zum ersten Verhandlungstag im Gerichtssaal der JVA Stuttgart-Stammheim. Er war, so hieß es, tags zuvor beim Hofgang von einem Mithäftling angegriffen worden. Warum, wurde zunächst nicht bekannt. Seine Verteidigung beantragte, die Öffentlichkeit von der Verlesung der Anklageschrift auszuschließen, um ihm neue Schlagzeilen und damit eine weitere Gefährdung zu ersparen. Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Vorsitz von Herbert Anderer lehnte ab.

Verhandelt wird eine Episode aus dem grausamen syrischen Bürgerkrieg. Der kanadische UN-Mitarbeiter Carl Campeau hatte damit eigentlich nichts zu tun, er war als Rechtsberater einer UN-Mission ins Land gekommen, welche die entmilitarisierte Zone zwischen Syrien und Israel auf den Golanhöhen sichert. Laut Anklage geriet er auf dem Weg zu einem Arzt nach Damaskus am 17. Februar 2013 in die Hände der Nusra-Front, eines Ablegers von al-Qaida, der das Assad-Regime mit brutalsten Mitteln bekämpft. Dass Campeaus Auto ein UN-Kennzeichen trug, schreckte die Entführer nicht ab, im Gegenteil.

Sieben Millionen Dollar verlangten sie von den Vereinten Nationen und der kanadischen Regierung, doch beide zahlen aus Prinzip kein Lösegeld. Die Familie des Opfers bot 25 000 Dollar, das war den Entführern zu wenig. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, erweckten sie auf einem Foto den Anschein, sie hätten Campeau einen Unterschenkel abgehackt. Mehrmals wurde ihm offenbar mit der Exekution gedroht. Besser behandelt wurde er erst, als er sich bereit erklärte, zum Islam zu konvertieren. Nach acht Monaten in Gefangenschaft konnte er fliehen.

Carl Campeau wird im nächsten Jahr als Zeuge in Stammheim erscheinen. Offenbar hat er Suliman al-S. als einen seiner Bewacher erkannt und damit Hinweise bestätigt, die den deutschen Ermittlern von Nachrichtendiensten zugespielt wurden. Der Kampfname des Syrers sei "Abu Adam" gewesen, ein überzeugter Dschihadist angeblich. Richter Anderer kündigte an, einen forensischen Gutachter hinzuzuziehen, um Campeaus Aussage zu bewerten. Möglicherweise sei er traumatisiert, zudem hat er seine Version der Ereignisse bereits in mehreren Interviews geschildert.

Die Anklage lautet auf Kriegsverbrechen gegen humanitäre Operationen, erpresserischen Menschenraub, Freiheitsberaubung, Mitgliedschaft in einer ausländischen Terrorvereinigung. Es gibt keine Indizien dafür, dass der Syrer in Deutschland Terrorakte plante. Der Prozess wird lang dauern, bis Herbst 2017 sind Termine angesetzt. Die Verteidigung prangerte am Donnerstag die Grundlagen der Anklage - Paragrafen des Völkerstrafgesetzbuchs sowie des deutschen Strafgesetzbuchs - als verfassungswidrig an.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2016
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