Süddeutsche Zeitung

"Suisse Secrets":Empörung über die Schweiz

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Die SZ-Enthüllungen zu fragwürdigen Kunden der Großbank Credit Suisse sorgen international für Kritik - und könnten schwerwiegende Folgen für den gesamten Schweizer Finanzplatz haben.

Von Isabel Pfaff, Bern

Die von der SZ initiierten Recherchen zu problematischen Kundenbeziehungen der Schweizer Bank Credit Suisse - die Suisse Secrets - könnten schwerwiegende Folgen für den gesamten Schweizer Finanzplatz haben. Die Enthüllungen zeigen, wie Kleptokraten, Autokraten und Kriminelle ihr Geld bei der Credit Suisse bunkerten, und werfen die Frage auf, wie genau es die Großbank mit ihren Sorgfaltspflichten nimmt. Nun will die Europäische Volkspartei (EVP), stärkste politische Fraktion im Europaparlament, die Bankpraktiken der Schweiz überprüfen. Sie brachte am Montag auch die mögliche Aufnahme des Landes in die schwarze Liste der EU von Staaten mit hohem Geldwäsche-Risiko ins Spiel. Bei den europäischen Fraktionen der linken und grünen Parteien dürfte das auf Zustimmung stoßen.

Transparency International bezeichnete die Credit Suisse in einer Stellungnahme vom Sonntag als "professionelle Ermöglicherin von Finanzverbrechen" und forderte Regierungen auf der ganzen Welt dazu auf, entschieden gegen solches Verhalten vorzugehen. "Die Suisse-Secrets-Recherchen zeigen einmal mehr, dass Banken nicht zugetraut werden kann, sich selbst zu überwachen", so Maíra Martini, Geldwäsche-Expertin der Organisation.

Für den US-Ökonomen und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz liegt die Sprengkraft der Suisse-Secrets-Recherchen in der Dichte problematischer Kunden in den geleakten Daten. "Was würden wir erst sehen, wenn das Fenster in die Bank größer gewesen wäre?", so Stiglitz.

In der Schweiz selbst könnten die Enthüllungen aufsichtsrechtliche Folgen für die Credit Suisse haben, die wegen früherer Fehltritte ohnehin schon im Fokus der Aufsicht ist. Wie ein Sprecher der SZ bestätigte, steht die Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma wegen der Suisse-Secrets-Recherchen in Kontakt mit der Bank. "Die Einhaltung der Geldwäschereibestimmungen bildet seit Jahren einen Schwerpunkt unserer Aufsichtstätigkeit", so der Sprecher. Darüber hinaus könne sich die Aufsicht nicht zu einzelnen Medienberichten äußern.

Neben den mutmaßlichen Missständen bei der Bank werfen die Suisse Secrets auch die Frage nach der Pressefreiheit in der Schweiz auf. Kein einziges Schweizer Medium beteiligte sich an den Recherchen; Grund ist Artikel 47 im Schweizer Bankengesetz, nach dem alle, die mit geleakten Bankdaten arbeiten, ein Strafverfahren und bis zu drei Jahre Gefängnis riskieren - auch Journalisten.

Reporter ohne Grenzen Schweiz bezeichnete das Bankgeheimnis des Landes in einer Mitteilung vom Montag als "unzulässige Bedrohung für die Pressefreiheit". Es sei nicht akzeptabel, dass die Schweiz ein solches Rechtsregime fortbestehen lässt. Einer Demokratie, die die Informationsfreiheit respektiert, sei dies "unwürdig". Regierung und das Parlament müssten Artikel 47 dringend ändern.

Tatsächlich haben mehrere Schweizer Parteien bereits Schritte zur Reform des Bankengesetzes eingeleitet. "Der Zensurartikel verbietet es Schweizer Medien, Steuerkriminalität aufzudecken", sagte Samira Marti, Abgeordnete der Schweizer Sozialdemokraten (SP), bei einer Pressekonferenz am Montag. Das müsse sich ändern. Die SP will deshalb in der Ende Februar beginnenden Sitzungsphase des Parlaments einen Vorstoß zur Anpassung des Artikels 47 im Bankengesetz einreichen. Außerdem fordert die Partei in weiteren Vorstößen schärfere Massnahmen gegen Steuerkriminalität und Korruption.

Auch die Schweizer Grünen wollen Journalisten und Whistleblower besser vor strafrechtlicher Verfolgung schützen. "Die Suisse Secrets zeigen, dass das Schweizer Parlament und der Schweizer Finanzplatz die Finanz- und Steuerkriminalität entgegen ihren Versprechungen nicht unterbinden. Umso wichtiger ist es, dass die Medien ihre Rolle als vierte Gewalt wahrnehmen können", so Nationalrätin Regula Rytz, die am Montag einen Vorstoß zur Reform des Bankengesetzes in der Wirtschaftskommission des Nationalrats einbrachte.

Selbst Parteien, die sich 2014 noch für eine Verschärfung von Artikel 47 ausgesprochen hatten, zeigen sich nun offen für eine Reform. Dem Suisse-Secrets-Team sagten die Grünliberalen: "Journalismus spielt eine grundlegende Rolle bei der Enthüllung illegaler Aktivitäten." Man freue sich deshalb auf eine Zusammenarbeit mit der SP bei der Änderung von Artikel 47.

Sogar Mitglieder der Schweizer FDP, von der die Gesetzesverschärfung damals ausging, signalisieren nun ein gewisses Entgegenkommen. Andrea Caroni, FDP-Ständerat, sagte dem Schweizer Tages-Anzeiger am Montag, dass die Stimmung während der Debatten zum Bankengesetz 2014 wegen des Diebstahls und Verkaufs von Bankkundendaten "etwas aufgeheizt" gewesen sei. Caroni sagte damals: "Es gehört nicht zur Aufgabe von Journalisten, geheime, intime, persönliche Daten, die gestohlen wurden, in den Medien auszubreiten und die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu verletzen." Nun räumte er ein: "Möglicherweise ist der Regler nicht perfekt eingestellt."

Ruedi Noser, ein einflussreicher FDP-Abgeordneter und damals prominenter Fürsprecher der Verschärfung, sagte der SZ am Montag, dass es nicht die Absicht dieses Gesetzesartikels gewesen sei, Medien bei Themen von öffentlichem Interesse "einen Maulkorb zu erteilen". Zu einer möglichen Reform sagte Noser: "Man darf immer analysieren, ob es eine Korrektur braucht." Jetzt schon mit konkreten Forderungen zu kommen, halte er allerdings für "reine Effekthascherei".

Für die Debatten im Schweizer Parlament wird es entscheidend sein, ob sich auch die konservativ-bürgerlichen Fraktionen eine Änderung des Gesetzesartikels vorstellen können. SP, Grüne und Grünliberale allein haben in keiner der beiden Kammern eine Mehrheit.

Am Montag wurde zudem bekannt, dass die Justiz bereits auf die Suisse Secrets reagiert. Die Schweizer Bundesanwaltschaft bestätigte auf Anfrage des Tages-Anzeigers, dass die Staatsanwaltschaft München sie um Rechtshilfe ersucht habe im Zusammenhang mit den Konten des Ex-Siemens-Managers Eduard Seidel.

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