Süddeutsche Zeitung

Lateinamerika:Die Rückkehr der Generäle

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Die bedrängten Regierungen der Region beteiligen das Militär an der Macht, um sich zu stabilisieren. Doch das ist eine gefährliche Strategie. Die Vergangenheit lehrt, wozu manche Armeechefs in der Lage sind.

Kommentar von Christoph Gurk

Es macht gerade ein Fotomotiv in Lateinamerika die Runde. Es zeigt stets ein irgendwie in Bedrängnis geratenes lokales Staatsoberhaupt, umringt von hochrangigen Offizieren des Militärs. Anfang dieser Woche ließ sich die umstrittene bolivianische Übergangspräsidentin Jeanine Àñez so fotografieren. Davor waren es der von Protesten gebeutelte chilenische Präsident Sebastian Piñera, der ecuadorianische Regierungschef Lenín Moreno sowie das peruanische Staatsoberhaupt Martín Vizcarra.

Die Zeiten sind schwierig in Lateinamerika, und um ihre Macht zu sichern, vertrauen immer mehr Staatsoberhäupter in der Region auf das Militär. Historisch gesehen ist das ein erheblicher Rückschritt. Und mit Blick auf die Zukunft ein Riesenproblem.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann das Militär von Feuerland bis Zentralamerika demokratisch gewählte Präsidenten aus dem Amt zu putschen. Es verfolgte Gegner und terrorisierte die Bevölkerung. Mit dem Ende des Kalten Krieges kehrten die Generäle in ihre Kasernen zurück, und demokratisch gewählte Präsidenten übernahmen wieder das Amt. Manche Staaten arbeiteten in der Folge die Verbrechen der Diktatoren auf. Viele Länder aber ließen die Vergangenheit auch einfach ruhen, um des lieben Friedens willen. Das Militär baute daraufhin seine Pfründe aus, verdiente prächtig dank eigener Firmen und genoss Privilegien wie obszön hohe Renten. Je satter die Generäle wurden, desto geringer war die Gefahr eines Putsches.

Doch nun hat sich die Situation gedreht: Demokratisch gewählte Regierungen versuchen nicht mehr, das Militär ruhigzustellen, im Gegenteil, freiwillig geben sie ihm immer mehr Macht ab. In Mexiko hat Präsident López Obrador gerade eine Nationalgarde geschaffen, die sich vor allem aus Soldaten zusammensetzt. Und wenn man wissen will, wo das alles hinführt, sollte man nicht in das klassisch-diktatorische Venezuela schauen, sondern nach Brasilien. Hier sitzen ehemalige Befehlshaber der Streitkräfte massenhaft in den Ministerien; und selbst der Vizepräsident war früher einmal ein General.

Bedrängte Regierungen der Region beteiligen das Militär an der Macht - das wird sich rächen

Korruptionsskandale auf der einen und deren mangelhafte Aufklärung auf der anderen Seite haben in Lateinamerika das Vertrauen in den Staat geschwächt. Zudem bekommen die Regierungen die soziale Ungleichheit genauso wenig in den Griff wie die Gewalt der Drogenbanden. Die wenigen Institutionen, denen die Menschen noch vertrauen, sind die Kirchen - und die Armee. Also holen sich immer mehr Politiker in der Region immer öfter Rückhalt bei ihnen. Oder aber sie benutzen die Soldaten, um Angst und Schrecken zu verbreiten.

Doch was auch immer die konkrete Motivation ist - die Beteiligung des Militärs an der Macht ist ein gewagtes Spiel. Denn haben die Armeechefs die Macht einmal in den Händen, wird es schwer, sie ihnen wieder zu entreißen. Angesichts der katastrophalen Lage in vielen Ländern gibt es immer mehr Menschen, die sich eine Militärregierung sogar herbeiwünschen. Dabei vergessen sie aber, dass Soldaten nicht zum Regieren geschult werden, sondern für den Krieg. Und die Vergangenheit hat gezeigt, dass sie diesen auch gegen die eigene Bevölkerung führen, wenn sie glauben, das sei für sie von Nutzen.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2019
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