Süddeutsche Zeitung

Stutthof-Prozess:"Man sollte ihm vergeben"

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Im Prozess gegen den ehemaligen SS-Wachmann im KZ Stutthof fordern Nebenklage-Vertreter nur eine Bewährungsstrafe. Ein ehemaliger Gefangener dringt sogar auf noch mehr Milde.

Im Hamburger Prozess gegen einen ehemaligen Wachmann im KZ Stutthof haben die Nebenklage-Vertreter zwar eine Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord gefordert. Zugleich erklärte der Rechtsanwalt Markus Goldbach, sein in Israel lebender Mandant wünsche keine Strafe für den 93 Jährigen. "Man sollte ihm vergeben", habe der zurzeit im Sterben liegende ehemalige Stutthof-Gefangene gesagt.

Mehmet Daimagüler, ein weiterer Vertreter der Nebenklage, erklärte, auch seine Mandanten wollten ausdrücklich nicht, dass der 93-Jährige inhaftiert werde. Der Anwalt sprach sich dafür aus, den ehemaligen Wachmann zu einer Bewährungsstrafe zu verurteilen. Beide verlangten in ihren Plädoyers auch keine höhere Strafe als die bereits vom Staatsanwalt beantragten drei Jahre Haft.

Der Angeklagte hatte zum Auftakt des Verfahrens im Oktober vergangenen Jahres eingeräumt, dass er vom 9. August 1944 bis zum 26. April 1945 Wachmann in dem Konzentrationslager bei Danzig war. Dort waren mindestens 65 000 Menschen ermordet worden. Bruno D. selbst erklärte, er habe nur seinen Dienst versehen und hätte nichts dagegen tun können.

Dass er selbst jemanden getötet hätte, wird ihm nicht vorgeworfen. Er hätte aber, so wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor, vom Turm steigen, das Gewehr abgeben und sagen können: Ich kann nicht mehr. Eine Möglichkeit wäre für ihn gewesen, sich an die Front versetzen zu lassen.

Bereits am Dienstag hatte Markus Horstmann, ebenfalls ein Vertreter der Nebenklage, den Angeklagten aufgefordert, seine Schuld einzugestehen. Bruno D. sei kein glühender Nazi gewesen, habe aber mitgemacht. "Er könnte heute sagen: Es war falsch, was ich damals gemacht habe", sagte Horstmann. Dazu habe er in seinem letzten Wort noch die Chance. "Es wäre ein großer Schritt."

Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, ihn wegen Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen zu verurteilen. Weil der Angeklagte zur Tatzeit erst 17 bis 18 Jahre alt war, findet der Prozess vor einer Jugendstrafkammer statt.

Am kommenden Montag soll der Verteidiger seinen Schlussvortrag halten und der Beschuldigte Gelegenheit zu einem letzten Wort bekommen. Das Urteil soll am Donnerstag verkündet werden. Der Prozess ist insofern etwas Besonderes, dass die Staatsanwaltschaft den Angeklagten der Beihilfe des Mordes beschuldigt hat. In früheren Prozessen waren Angeklagte, denen keine unmittelbare Beteiligung an der Ermordung von Häftlingen nachgewiesen werden konnte, davongekommen. 2011 hatte erstmals ein Gericht einen KZ-Wachmann wegen Beihilfe verurteilt.

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