Süddeutsche Zeitung

Streit um Staatsangehörigkeitsrecht:CDU will weg vom Doppel-Pass

Lesezeit: 4 min

Unions-Innenexperte Wolfgang Bosbach fordert die Rückkehr zum alten Recht, das Rot-Grün gegen viel Widerstand reformiert hat. Acht Jahre nach Einführung des Doppel-Passes bricht der alte Streit wieder aus.

Thorsten Denkler, Berlin

Es war eines der Vorzeigeprojekte der ersten Monate rot-grüner Bundesregierung: das neue Staatsangehörigkeitsrecht. Erstmals sollte nicht allein die Herkunft entscheidend für die deutsche Staatsangehörigkeit sein, sondern auch der Geburtsort. Seit dem 1. Januar 2000 gilt: Wer in Deutschland das Licht der Welt erblickt, ist Deutscher, auch wenn die Eltern es nicht sind. Sie müssen lediglich nachweisen, dass sie sich legal in Deutschland aufhalten und hier ihren Lebensmittelpunkt haben.

Die Sache hat allerdings einen Haken, der jetzt erneut für Streit sorgt: Die Optionsregel. Danach müssen sich Jugendliche mit zwei Pässen zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr für eine Staatsangehörigkeit entscheiden. Ab diesem Jahr werden die ersten Fälle erwartet. 3316 sollen es werden. Allein in Berlin leben nach einer jüngsten Statistik über 21.000 sogenannte Optionsjugendliche. Davon kommen in diesem Jahr rund 370 in das Alter, in dem sie sich entscheiden müssen.

Kurz vor der bayerischen Landtagswahl und acht Jahre nach der Einführung des neuen Staatsangehörigkeitsrechtes ist der Zwist um diese Regelung wieder voll entbrannt. Diesmal allerdings innerhalb der amtierenden Bundesregierung.

Die Woche fing schon heikel an. Maria Böhmer (CDU), Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, stellte ihren Fragenkatalog für den neuen Einbürgerungstest vor. Zukünftig muss jeder Einbürgerungswillige diesen Test bestehen, bevor er Deutscher werden kann. Böhmers Aufforderung an die Ausländer in Deutschland, doch bitte Deutsche zu werden, klang in den Ohren der türkischen Gemeinschaft danach wie Hohn. Diese sieht in dem Test eine weitere Hürde auf dem Weg, Deutscher werden zu können.

Wolfgang Bosbach, Innenexperte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, schüttet jetzt noch Öl ins Feuer. Er fordert auf sueddeutsche.de die Rückkehr zum alten Recht: "Wir wollen zurück zum alten Staatsangehörigkeitsrecht von vor 1999, weil es eben keine doppelte Loyalitäten bei der Staatsangehörigkeit geben kann."

Kampfansage an die SPD

Er warnt auch davor zu glauben, mit der Rückkehr zum alten Recht werde die doppelte Staatsangehörigkeit in Deutschland abgeschafft: "Es ist ja nicht so, dass es in Deutschland keine doppelte Staatsangehörigkeit gibt. In Ausnahmefällen ist das durchaus möglich. Die Frage ist nur, ob das der Regelfall werden soll. Da sagen wir klar: Nein."

Das kommt einer Kampfansage an die SPD gleich. Deren Innenexperte Dieter Wiefelspütz hatte nämlich gefordert, das Optionsmodell ganz zu streichen mit dem Ergebnis, dass Jugendliche mit zwei Staatsangehörigkeiten dauerhaft beide Staatsangehörigkeiten behalten dürften.

SPD-Präsidiumsmitglied Ralf Stegner setzt jetzt nach: "Wir haben durch die doppelte Staatsbürgerschaft einen Loyalitätsgewinn und wir vermeiden Streit, deshalb sollten wir das Optionsmodell abschaffen", sagte er der Süddeutschen Zeitung. "Warum sollten wir diesen Menschen etwas wegnehmen und Streit in die Familien tragen?"

Die Grünen wollten das schon immer so. Und diese Haltung entspricht auch dem Wunsch der Türken in Deutschland. "Der Verzicht auf den türkischen Pass ist für viele Jugendliche der Verzicht auf einen Teil ihrer Identität", sagte Kenan Kolat, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Berlin, der Süddeutschen Zeitung. Er "fürchte, dass sich ein Großteil der Jugendlichen wegen Diskriminierungserfahrungen gegen den deutschen Pass entscheiden werden".

Der Integrationsbeauftragte des Landes Berlin, Günter Piening, vergleicht im Gespräch mit sueddeutsche.de die Situation der Jugendlichen mit einem Bild, das beim Spiel Deutschland gegen die Türkei während der Fußball-EM gerne gebraucht wurde. Da wurde von der deutschen und der türkischen Herzkammer der hier lebenden Deutsch-Türken gesprochen. Piening: "Mit dem Optionsmodell werden die Jugendlichen gezwungen, sich eine der beiden Herzkammern herauszureißen. Integrationspolitisch ist das nicht hilfreich."

Bisher hätten diese Jugendlichen keine Probleme gehabt, beide Staatsangehörigkeiten zu haben. "Jetzt sollen sie sich plötzlich entscheiden. Das ist ein Konstruktionsfehler des Modells", sagte Piening zu sueddeutsche.de.

Dafür, dass das Staatsangehörigkeitsrecht ein neues Streitthema der großen Koalition werden könnte, spricht auch, dass es immer ein Lagerthema war. Schmerzhaft in Erinnerung ist den Sozialdemokraten die Unterschriftenkampagne eines gewissen Roland Koch (CDU) gegen den Doppelpass. Koch gewann damit 1999 die Landtagswahl in Hessen. Rot-Grün verlor zugleich die Mehrheit im Bundesrat. Direkte Folge der Wahlniederlage im SPD-Stammland Hessen war die Einführung des Optionsmodells in das Staatsangehörigkeitsrecht.

Unter Rechtsexperten ist das Optionsmodell ohnehin umstritten. In einer Anhörung des Bundestages dazu Ende vergangenen Jahres, war der Großteil der geladenen Fachleute der Auffassung, dass das Optionsmodell verfassungsrechtlich zumindest problematisch sei, weil die deutsche Staatsangehörigkeit laut Verfassung nicht einfach entzogen werden dürfe.

CDU-Innenexperte Bosbach hält das bestehende Verfahren dagegen grundsätzlich für verfassungskonform. Danach werden die Betroffenen schriftlich aufgefordert, sich innerhalb einer Frist für die eine oder andere Staatsangehörigkeit zu entscheiden. "Wer aber der Aufforderung zur Entscheidung nicht nachkommt, sich also der Entscheidung verweigert, der verliert die deutsche Staatsangehörigkeit. Er hat sich damit gegen die deutsche Staatsangehörigkeit entschieden", sagt Bosbach sueddeutsche.de. Ein verfassungswidriger Entzug wäre das nach dieser Lesart nicht.

So sieht das auch die Bielefelder Juristin Astrid Wallrabenstein, eine Expertin auf dem Gebiet des Staatsangehörigkeitsrechts. "Solange die Entscheidung selbst beeinflusst werden kann, ist das kein Entzug", sagte sie sueddeutsche.de.

Ihre Kritik setzt an der Praxis an. Es seien genügend Situationen vorstellbar, in denen man Mehrstaatlern nicht zumuten könne, sich zu entscheiden, sagte Wallrabenstein. Etwa, wenn sie einen deutschen Ehepartner hätten, aber türkische Eltern. Oder einen deutschen Partner und deutsche Kinder.

Das Optionsmodell zwinge den Staat dazu, "einen unverhältnismäßig hohen Aufwand zu betreiben, um am Ende doch sehr vielen die Mehrstaatlichkeit als Ausnahme zu erlauben".

Zu klären sei allerdings eine zweite Frage, sagt Bosbach. Wie wird in Fällen verfahren, in denen die Betroffenen nicht auffindbar seien? Nach geltendem Recht soll dann ein öffentlicher Aushang genügen, in dem der Betroffene aufgefordert wird, sich zu entscheiden. Meldet er sich daraufhin nicht, war's das mit dem deutschen Pass.

Die Bielefelder Jura-Professorin Wallrabenstein bezweifelt die Rechtmäßgkeit dieses Verfahrens: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine unbeantwortete öffentliche Zustellung per Aushang reicht, damit jemand die deutsche Staatsangehörigkeit verliert."

Weil die Rechtslage unklar ist, erwartet Bosbach erwartet "eine Reihe von Klagen bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht." Schon allein deshalb sollte aus seiner Sicht die alte, verfassungsmäßig einwandfreie Rechtslage wieder hergestellt werden.

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