Süddeutsche Zeitung

Streit um Gesetzesänderungen:EU-Kommission eröffnet Verfahren gegen Ungarn

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Als Reaktion auf umstrittene Gesetzesänderungen in Ungarn hat die Europäische Kommission ein Verfahren wegen der Verletzung von EU-Recht gegen das Land eingeleitet. Es geht unter anderem um ein Gesetz, das den Einfluss der Regierung auf die Zentralbank des Landes vergrößert.

Jetzt macht Brüssel ernst gegen den ungarischen Regierungschef Victor Orban und dessen radikale Verfassungsreform. Nach wochenlangem Lavieren eröffnete die Kommission ein Verfahren gegen Budapest. Gleich in drei Punkten sehen die EU-Vertragshüter die europäischen Regeln verletzt: Bei der Kontrolle über die Zentralbank, beim Eingriff in die Justiz und bei der Beschneidung des Datenschutzes.

"Wir hatten gehofft, das Ungarn die notwendigen Änderungen vornimmt", sagte Kommissionschef José Manuel Barroso verärgert. "Das war aber nicht der Fall." Zu jedem Vorbehalt schickte Brüssel Orban noch am Dienstag einen Brief. Räumt der Regierungschef die Kritik nicht binnen eines Monats aus, ist eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof wahrscheinlich. Und der EuGH kann dann hohe Geldbußen gegen das schon vor der Pleite stehende Land verhängen.

Es wird also eng für den Ministerpräsidenten, der sein Land mit Zweidrittelmehrheit kontinuierlich nach rechts steuert und sich jede Einmischung von Außen aggressiv verbittet. Doch klein beigeben will Orban auch diesmal nicht, im Gegenteil: Am Dienstag lud er sich selbst nach Straßburg ein, um sich dort am Mittwoch vor dem Parlament gegen "Lügen und ungerechtfertigte Beschimpfungen durch die Internationale Linke" zu verteidigen, wie sein Büro mitteilen ließ.

Es wird ein spannender Schlagabtausch erwartet, denn schon vor einem Jahr warf ihm der Grünen-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit am selben Orte vor, er sei ein "europäischer Hugo Chavez". Kürzlich legte Cohn-Bendit noch nach und nannte Orban im dapd-Interview "autokratisch durchgeknallt".

Den Zorn von EU-Kommission und EU-Parlament hat sich der ungarische Regierungschef durch eine Verfassungsreform zugezogen, die er Anfang Januar mit seiner Fidesz-Partei durch das Parlament boxte. Sie beschneidet vor allem die im EU-Vertrag verankerte Unabhängigkeit der nationalen Zentralbank. In dem Punkt deutete Orban immerhin Verhandlungsbereitschaft an. Er sehe keinen Grund, "die rechtlichen Argumente" der EU-Kommission nicht anzuerkennen, sagte er. Zu dem Einlenken ist er aber auch gezwungen, weil die EU sonst die von Budapest beantragte Finanzhilfe zur Abwendung der drohenden Pleite nicht freigibt. Bislang wurden noch nicht mal die Verhandlungen eröffnet.

In den beiden anderen Punkten aber gibt sich der Regierungschef bisher hart. So ist der EU auch ein Dorn im Auge, dass Justizbeamte zunächst zwei Jahre früher in Rente geschickt werden sollen, das Renteneintrittsalter in zwei Jahren aber schon wieder hochgesetzt werden soll. Dahinter steht der Verdacht, Orban wolle unliebsame Staatsanwälte und Richter loswerden. In der Frage habe die EU keinerlei Kompetenz, tönt es aus Budapest.

Ebenso in der Frage des Datenschutzes. Die Befugnisse des Datenschutzbeauftragten wurden stark eingeschränkt, was vom bisherigen Amtsinhaber scharf kritisiert wurde. Auch den Posten hat Orban neu besetzt. Der Streit war für ihn nur "ein Staubkorn im Getriebe". Erste Hinweise, ob er das nach der Einleitung des Verfahrens anders sieht, dürfte er am Mittwoch in Straßburg geben.

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