Süddeutsche Zeitung

Strafrecht:Das Mittel gegen alles

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Beim Thema Einbruch und bei vielen anderen auch: Indem Politiker Gesetze verschärfen wollen, tun sie so, als ob sie etwas zur Lösung von Problemen tun.

Von Wolfgang Janisch

Deutschlands Strafjuristen führen gerade eine Grundsatzdiskussion über eine höchst abseitige Vorschrift. Paragraf zehn Rindfleischetikettierungsgesetz - ja, das gibt es wirklich - droht bis zu ein Jahr Freiheitsstrafe für denjenigen an, der Rindfleisch nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig etikettiert. Ein falscher Aufkleber kann also im Extremfall Gefängnis bedeuten, oder zumindest eine saftige Geldstrafe. Getroffen hat es einen Berliner Döner-Produzenten, der bereits 2008 im Zuge des sogenannten Gammelfleisch-Skandals zu einer Geldstrafe verurteilt worden war. In den Jahren danach konnten die Behörden zwar kein minderwertiges Fleisch mehr finden, wohl aber ein unkorrektes Etikett - was ihm eine weitere Geldstrafe von 25 000 Euro eintrug. Inzwischen liegt der Streit um den kleinen Paragrafen beim Bundesverfassungsgericht. Der Zweite Senat hat Institutionen und Verbände zur Stellungnahme aufgefordert - und zwei kleine Worte in dieser Anfrage elektrisieren nun die Juristenschaft: Zu prüfen sei, ob das Gesetz unter dem Gesichtspunkt des Strafrechts als "Ultima Ratio" verfassungsgemäß sei.

Mit verschärften Gesetzen tut die Politik so, als ob sie was tut

Ultima Ratio heißt: Strafrecht darf immer nur das "letzte Mittel" des Staates sein - weil es den tiefsten Eingriff in die Sphäre des Einzelnen erlaubt, den Entzug der Freiheit. In kluger Selbstbeschränkung sollte der Gesetzgeber das scharfe Schwert nur dann ziehen, wenn es um zentrale Rechtsgüter geht - Leben, Gesundheit, Eigentum. "Wenn das Strafrecht alles richten soll - Ultima Ratio oder Aktionismus?" lautet das Motto des am Mittwoch beginnenden Deutschen Anwaltstages in Berlin, das eher einer Mahnung gleichkommt. Denn in der praktischen Politik gilt längst das Gegenteil: Strafrecht ist zum Passepartout geworden, zur Standardreaktion auf unerwünschte gesellschaftliche Entwicklungen. Die Kreation neuer Strafvorschriften ist das erste Mittel, zu dem Regierungen jedweder Couleur greifen - weil sich damit Handlungsfähigkeit suggerieren lässt, die nicht einmal Kosten verursacht.

Ein Beispiel wie aus dem Lehrbuch des Polit-Aktionismus ist Volker Kauders jüngster Vorschlag, Wohnungseinbrecher härter zu bestrafen. Nun weiß auch die CDU, dass höhere Strafen vermutlich keinen einzigen Einbruch verhindern werden - die Aufklärungsquote liegt bei 15 Prozent, daran werden neue Paragrafen allein nichts ändern (weshalb der Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion immerhin auch die Schaffung neuer Stellen anmahnt, zu bezahlen von den Ländern). Dabei weiß es die Union besser, denn die große Koalition will zugleich mit finanzieller Unterstützung das bisher wirksamste Mittel gegen Wohnungseinbrüche fördern, den Einbau von Sicherheitstüren. Gleichwohl täuscht sie zusätzliche Aktivität vor, indem sie leeres Strafrecht schafft. Wir tun was, lautet die Botschaft.

Überhaupt ist die allgemeine Verunsicherung der wichtigste Schmierstoff der Paragrafenproduktion. Die Terrorismusfurcht der vergangenen Jahre hat fragwürdige Präventionsvorschriften wie die "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat" hervorgebracht, die nicht die böse Tat sanktionieren will, sondern das, was (vielleicht) dazu führen könnte; der Bundesgerichtshof hat die verkorkste Norm inzwischen für weitgehend unanwendbar erklärt.

Auch in anderen Bereichen werden munter Strafgesetze erlassen, zum Beispiel das Anti-Doping-Gesetz. Zwar ist der Gedanke richtig, dass der omnipräsente und durchökonomisierte Sport längst keine zu vernachlässigende Nebensache ist. Aber ob man für die Fairness im Sport wirklich zum Strafrecht greifen muss, zur Ultima Ratio also, darf bezweifelt werden. Oder das Wirtschaftsstrafrecht: Komplizierte und bisweilen kaum verständliche Strafgesetze sollen abstrakte Rechtsgüter wie die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte schützen. Diese sollte aber wohl eher das Geschäft der Finanzaufsicht sein als das der Strafkammern. Auf diese Weise kommt es zu Anklagen, die so spektakulär scheitern wie vor einigen Wochen im Fall der früheren Porsche-Chefs, die beide freigesprochen wurden. Die Folge: Der Ruf der Betroffenen ist angekratzt, die Justiz überlastet, das Publikum frustriert. "Die Verheißungen des Strafrechts sind in der Realität des Strafprozesses nicht einlösbar", sagt der Frankfurter Rechtsprofessor Matthias Jahn.

Bleibt zu hoffen, dass Verfassungsgericht und Anwaltstag den populistischen Trend bremsen. Notwendig ist die Rückbesinnung auf ein "Kernstrafrecht" zum Schutz elementarer Rechtsgüter. Für alles andere gibt es weichere und oft auch wirksamere Regeln im Verwaltungs- oder Zivilrecht. Knast für falsche Aufkleber darf es im Rechtsstaat nicht geben.

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Quelle:
SZ vom 31.05.2016
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