Süddeutsche Zeitung

Kampf um SPD-Vorsitz:Da waren es nur noch zwölf

Lesezeit: 3 min

Von Dominik Hutter, München

Die Erleichterung ist den Kandidaten anzusehen, als sie sich zum Schluss noch einmal auf der Bühne des Löwenbräukellers den gut tausend Besuchern präsentieren. Sogar Pokerface Olaf Scholz steht ein entrücktes Lächeln im Gesicht, Karl Lauterbach legt den Arm kumpelhaft um seine Duo-Partnerin Nina Scheer.

23 Veranstaltungen haben die Bewerber um den SPD-Vorsitz nun absolviert, jeder hat im Schnitt 8000 Kilometer kreuz und quer durch Deutschland zurückgelegt. Gut 500 Fragen aus dem Publikum wurden beantwortet. Es gibt viel Applaus für diesen Einsatz in eigener Sache. Dann schubsen die sieben Zweier-Teams große weiße Luftballons in die Menge - als Symbol, dass der Ball nun bei der Basis liegt. Und greifen selbst zur Handy-Kamera, um das lustige Ballon-Gerangel im Saal zu verewigen. Es ist geschafft.

München bildet den Abschluss der langen Kandidatentour durch Deutschland - wie schon in anderen Städten war das Interesse so groß, dass die Veranstaltung in einen deutlich größeren Saal verlegt wurde. Und nach wie vor gilt: Ein klares Favoriten-Duo ist nicht zu erkennen. Nun müssen die knapp 430 000 SPD-Mitglieder ans Werk, um die Nachfolge der schon vor vielen Monaten zurückgetretenen Andrea Nahles zu regeln. Vom 14. bis 25. Oktober darf abgestimmt werden, per Brief oder online. Eine Stichwahl, die dann im November stattfände, gilt als wahrscheinlich.

Nach der Wahl ist vor der Rettung der SPD

Auf der Kandidatenliste stehen allerdings zwei Namen zu viel. Hilde Mattheis und Dierk Hirschel, beide klar dem linken Flügel zuzuordnen, zogen ihre Kandidatur am Samstag zurück. Um anderen linken Teams größere Chancen einzuräumen, wie sie sagten. Vier Teams aus diesem Spektrum, so Hirschel, "sind drei zu viel". Eine klare Empfehlung für ein konkurrierendes Duo gaben sie nicht ab - nur die Fahrtrichtung links ist klar. "Nehmt diese Chance wahr", rief Mattheis. "Es könnte unsere letzte sein". Zeit, die Wahllisten zu korrigieren, bleibt keine mehr. Nur die Hoffnung, dass die Parteibasis noch rechtzeitig von dem überraschenden Rücktritt erfährt. Denn wer nun Mattheis und Hirschel ankreuzt, gibt eine ungültige Stimme ab.

Bei aller Konkurrenz untereinander - eines war den vielen Parteivorsitzenden in spe bei dieser Abschlussveranstaltung besonders wichtig: Nach der Wahl ist vor der Rettung der SPD. Dann geht es erst richtig los, um die deutsche Sozialdemokratie aus dem beispiellosen Stimmungstief herauszuholen - und dabei müssen alle mitmachen. Die 14 Kandidaten bemühten sich daher auffallend, das Einigende hervorzuheben, die Gemeinsamkeiten unter Sozialdemokraten. Und versprachen, sich einmütig hinter dem Siegerpaar zu versammeln - Generalsekretär Lars Klingbeil hatte sich diese Zusicherung explizit bei allen Bewerbern abgeholt.

Applaus für Groko-Kritik

Die bei vielen Genossen sehr positiv beurteilte Ochsentour durch Deutschland soll keine Narben in der ohnehin angeschlagenen Partei hinterlassen. Persönliche Sticheleien unter Kandidaten waren daher kaum zu hören. Wenn, dann traf es Olaf Scholz als Mitglied der Bundesregierung, die auch im Löwenbräukeller einen schweren Stand hatte. Wäre der Applaus dort der Maßstab, müsste die SPD sofort die Große Koalition verlassen. "Man sollte manchmal mit dem Koalitionspartner so kantig umgehen, wie wir das untereinander getan haben", ätzte Norbert-Walter Borjans, der zusammen mit Saskia Esken antritt.

Rein dezibeltechnisch liegen in München eher die dem linken Spektrum zugerechneten Teams vorne. Vor allem die Anti-Groko-Tiraden von Karl Lauterbach sorgten anfangs für anhaltenden Applaus, der allerdings im Laufe der Veranstaltung etwas zurückhaltender wurde. Gut möglich, dass Lauterbach ein paar Mal zu oft gebetsmühlenartig das immer Gleiche gefordert hat.

Klarer Publikumsliebling war Ralf Stegner, der zusammen mit Gesine Schwan antritt. Stegner sprach geschliffen, schnell und mit viel Witz - und entsprach damit so gar nicht dem Bild, das viele Leute von dem als mürrisch geltenden Norddeutschen haben. Manche seiner vielen Thesen zu Steuergerechtigkeit und Abrüstungspolitik waren vor lauter Klatschen gar nicht zu hören. Schwan hielt als einzige Kandidatin eine klassische Bewerbungsrede, die Stichworte lauten Standfestigkeit und Erfahrung.

Nur verhaltener Jubel für Scholz

Auffallend viel Beifall bekam auch das Duo Saskia Esken und Norbert-Walter Borjans, das sich dem Kampf gegen Rechts und höheren Steuern für Vermögende und Erben verschrieben hat. Christina Kampmann und Michael Roth, beide erklärte Kämpfer gegen Rechts und für mehr Klimaschutz, ernteten hingegen ordentliche, aber keine überschwängliche Zustimmung.

Auch Klara Geywitz und Olaf Scholz wurden nur verhalten bejubelt. Zu den Favoriten dürfte dieses Team dennoch gehören. Die Prominenz und Regierungserfahrung des Bundesfinanzministers könnte dann doch viele Genossen überzeugen, für den einzigen Bewerber aus der vordersten Reihe der Bundes-SPD zu stimmen.

Ohnehin ist es schwierig, aus dem Stimmungsbild der Regionalkonferenzen eine Tendenz für die gesamte SPD abzuleiten. Zwar haben immerhin rund 20 000 Sozialdemokraten in 23 Sälen den Vorstellungsrunden der Kandidaten gelauscht. Die große Masse aber hat die Auftritte allenfalls per Livestream oder im Fernsehen verfolgt. Oder gar nicht.

Zum Abschluss müssen neue Fotos her

Das in der SPD durchaus umstrittene Format der Regionalkonferenzen, das ja einen erheblichen Aufwand bedeutet, kam im Saal überwiegend gut an. Mehrere Redner sprachen sich dafür aus, auch bei anderen Gelegenheiten ähnliche Veranstaltungen zu organisieren und so die Parteibasis wieder enger mit der Bundesspitze zusammenzubringen. Nur ein paar weniger Kandidaten-Teams, das war oft zu hören, hätten dem Ganzen vielleicht gut getan.

Nach der großen Luftballon-Aktion zum Finale ging es dann noch einmal hinaus zum Fototermin auf die große Freitreppe zum Biergarten. Bilder aktualisieren. Auf denen von vor drei Stunden, aufgenommen am selben Ort, standen noch Mattheis und Hirschel unter ihren Kollegen.

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