Süddeutsche Zeitung

Spanien:Ganz oder gar nicht

Lesezeit: 2 min

Das Land muss wohl bald schon wieder ein neues Parlament wählen - das vierte Mal in vier Jahren. Schuld daran ist auch ein Politikverständnis, das nur Sieg und Niederlage, aber keinen Kompromiss kennt.

Von Thomas Urban

Viel wurde zuletzt im links orientierten Lager in den anderen EU-Staaten gejammert, dass die spanischen Linken untereinander völlig zerstritten seien und es nicht schafften, sich zu einer Koalitionsregierung zusammenzuraufen. Deshalb wird es wohl im November schon wieder Parlamentswahlen geben, die vierten innerhalb von vier Jahren - es sei denn, bis zum Wochenende, an dem die Frist für eine Regierungsbildung abläuft, geschieht noch ein politisches Wunder. Ein solches wäre es nämlich, wenn der geschäftsführende Premierminister Pedro Sánchez für sein sozialistisches Minderheitskabinett doch noch eine Mehrheit zustande bekommt.

Alle möglichen Gründe wurden angeführt, warum Sánchez und der Chef des linksalternativen Bündnisses Podemos Unidas, Pablo Iglesias, nicht zusammenkommen: gegenseitige Antipathie, Eitelkeit, Machtversessenheit, Neuauflage des alten Konflikts zwischen nichtmarxistischen Sozialisten und stalinistischen Kommunisten aus der Zeit des Bürgerkriegs vor acht Jahrzehnten. Doch sind dies alles Nebensächlichkeiten. Der Hauptgrund liegt schlicht darin, dass die beiden Linksgruppierungen zusammen keine Mehrheit im Parlament haben.

Sie wären auf die Stimmen der Regionalparteien aus dem Baskenland oder aus Katalonien angewiesen. Mit den Basken würde es aber nicht funktionieren, da die größere Gruppe unter ihnen liberalkonservative Positionen vertritt und das klassisch linke Wirtschaftsprogramm, das Podemos verlangt, nicht mittragen würde. Die katalanischen Abgeordneten wiederum streben die Abspaltung ihrer Heimatregion von Spanien an. Sie kommen also auch nicht als Bündnispartner infrage.

Das erneute Scheitern der Regierungsbildung steht indes auch für das traditionelle Politikverständnis in Spanien, für das nur die Kategorien von Sieg und Niederlage zählen, dem aber der Kompromiss fremd ist. In der Tat verhält sich jeder der Parteiführer so, als habe er allein das Rezept, der Gesellschaft Wohlstand und Stabilität zu garantieren. Auf nationaler Ebene gab es deshalb noch nie eine Koalition.

Auch Sánchez, der so progressiv und europäisch wirkt, steht für diesen machtbewussten spanischen Politikertyp, den der Gedanke antreibt, er müsse in erster Linie die anderen Parteien kleinhalten, anstatt in ihnen mögliche Partner bei der Lösung von Problemen zu sehen. Soziologen führen diesen Politikstil auf die spanische Adelsgesellschaft zurück, die permanente Konkurrenzkämpfe um die Nähe zum Thron prägten.

Auch die Linksalternativen von Podemos sind dagegen nicht gefeit. Pablo Iglesias führt harte Kämpfe innerhalb seiner Partei gegen alle, die von seiner Linie abweichen. So hat er gegen heftigen Widerstand in den eigenen Reihen auch ein Bündnis mit den Postkommunisten durchgesetzt, was offenkundig ein Fehler war, wie die Wahlergebnisse zeigen. In der Folge haben nämlich mehrere grüne Regionalparteien die Zusammenarbeit mit Podemos beendet.

Immer mehr ist bei Iglesias ein dogmatischer Zug hervorgetreten, der ihn viel an Popularität gekostet hat. Die Einschätzung, dass zwischen ihm und Sánchez, zwei politischen Egomanen, die Chemie nicht stimmt, ist also durchaus nicht verkehrt. Doch würde dies beide sicherlich nicht hindern, eine Koalition zu bilden, wenn sie denn die Mehrheit dafür hätten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4605488
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.09.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.