Süddeutsche Zeitung

Spanien/Frankreich:Corona-Lage spitzt sich zu

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In beiden Ländern steigen die Infektionszahlen stetig. Der deutsche Virologe Christian Drosten warnt: Deutschland hinke nur leicht hinterher.

Von Karin Janker, dpa, Madrid

In Europa gelten Spanien und insbesondere seine Hauptstadt Madrid als neue Zentren der Corona-Pandemie. Dort steigen die Infektionszahlen seit Wochen stetig, in den vergangenen Tagen meldeten die Behörden der Autonomen Regionen regelmäßig 10 000 oder mehr Neuinfektionen und nachgemeldete Fälle pro Tag. Madrid ist besonders stark betroffen: Am Freitagabend zählte das spanische Gesundheitsministerium 14 389 neue Positivgetestete, 35 Prozent davon aus Madrid.

Die Präsidentin der Region Madrid, Isabel Díaz Ayuso, kündigte am Freitag drastische neue Einschränkungen an. In mehreren Vierteln wird es Ausgangssperren geben, das trifft 850 000 Menschen. Konkret darf man sich zwischen und innerhalb betroffener Gebiete, in denen die Infektionen stark steigen, nur noch begrenzt bewegen.

Parks werden geschlossen, Zusammenkünfte auf sechs Personen beschränkt. Nach Recherchen der Zeitung El País sind 64 Prozent der Betten auf den Madrider Intensivstationen mit Covid-Patienten belegt. Damit ist man von Zuständen wie im Frühjahr zwar noch weit entfernt. Damals starben binnen drei Monaten offiziell 28 000 Menschen mit einer Covid-Infektion, das Gesundheitssystem stand vor dem Kollaps. Aber man sei wieder auf einem ähnlichen Weg, warnen Ärzte. Das medizinische Personal der Hauptstadt hat vom 28. September an zum Streik aufgerufen, um auf die dramatische Lage und die Einsparungen im Gesundheitssystem aufmerksam zu machen. Derzeit infizieren sich in Spanien vor allem jüngere Menschen, die eher mildere Verläufe zu erwarten haben. Etwa die Hälfte der Positivgetesteten sei asymptomatisch, teilte das Gesundheitsministerium mit.

Aufgrund der hohen sozialen Dichte in Spanien, wo viele die Wochenenden regelmäßig für Zusammenkünfte in den Großfamilien nutzen, könnte sich das Virus von dieser Altersgruppe ausgehend bald wieder auch unter älteren Menschen verbreiten. Hinzu kommt, dass in dieser Woche landesweit das Schuljahr wieder begonnen hat und der Altersdurchschnitt unter spanischen Lehrern in diesem Jahr so hoch ist wie seit zehn Jahren nicht.

Christian Drosten, Leiter der Virologie an der Berliner Charité, sagte am Freitag, zwar hinke Deutschland Ländern wie "Spanien und Frankreich und England" hinterher, aber man solle sich nicht vormachen, "dass sich das bei uns alles ganz anders entwickelt. Wir machen auch jetzt nicht sehr viele Sachen sehr anders". Allerdings gebe es "ein paar Details, die vielleicht bei uns anders sind als in Südeuropa. Unsere Haushalte sind häufig kleiner, wir haben mehr Einpersonenhaushalte", sagt Drosten. Es gebe weniger Mehr-Generationen-Familien, in denen das Virus über die Altersgrenzen sehr leicht verbreitet werde.

Zum ersten Mal seit dem Ende der Ausgangsbeschränkungen melden die Behörden einen Anstieg der Todesfälle

In Frankreich hat die Zahl der täglichen Corona-Neuinfektionen wie in Spanien bereits die 10 000er-Marke geknackt. Am Freitag meldete das Gesundheitsministerium binnen 24 Stunden 13 215 neue Fälle. In Städten wie Marseille, Bordeaux oder Paris ist die Lage besonders ernst. Allerdings testet auch Frankreich - ebenso wie Spanien - mehr als im Frühjahr. Die Auslastung der Krankenhäuser wird mit Sorge betrachtet - ist aber landesweit noch auf einem niedrigen Niveau. Im Süden werden aber die Intensivbetten knapp.

Die Gesundheitsbehörden warnten am Freitag, dass zum ersten Mal seit dem Ende der Ausgangsbeschränkungen ein Anstieg der Todesfälle zu beobachten sei. Die Situation verschlechtere sich deutlich. Der frühere Gesundheitsdirektor William Dab kritisierte im Journal du Dimanche, dass Premier Jean Castex zuletzt keine wirklich starken Maßnahmen angekündigt habe. Castex wolle das Leben mit dem Virus und dem Wirtschafts- und Schulleben aussöhnen.

Bordeaux, Marseille und Nizza verkündeten zuletzt strengere Maßnahmen - etwa Einschränkungen beim Alkoholkonsum auf Plätzen. Generell gilt in vielen französischen Städten, ähnlich wie in Spanien, eine Maskenpflicht im Freien.

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SZ vom 19.09.2020
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