Süddeutsche Zeitung

Jamaika-Sondierungen:Vier Großprojekte sind genug für vier Parteien

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Wahlversprechen müssen bezahlt werden, aber das Geld wird nicht für alle reichen. Die Jamaika-Parteien müssen sich entscheiden.

Kommentar von Cerstin Gammelin

Ausgerechnet in dem Jahr, in dem eine neue Bundesregierung erstmals viele Milliarden Euro vorfindet, die sie unters Wahlvolk bringen kann, erheben gleich vier Parteien den Anspruch, dieses Geld verteilen zu wollen. Und wohl noch nie waren die Wahlversprechen der möglichen Koalitionäre eines neuen Regierungsbündnisses insgesamt so teuer wie dieses Jahr: Die Versprechen von CDU, CSU, FDP und Grünen summieren sich auf mehr als 100 Milliarden Euro.

Verkompliziert wird die Lage durch einen grundsätzlich positiven Umstand: In Deutschland steigen seit Jahren die Einnahmen durch Steuern. Bund, Länder und Gemeinden melden regelmäßig neue Rekorde, und auch die mittelfristigen Aussichten sind recht positiv.

Genau das aber birgt die Gefahr, dass Politiker in dem verständlichen Begehren, ihre Versprechen erfüllen zu wollen, jetzt verdrängen, dass eines Tages wieder Schluss sein wird mit dem Geldregen. Die besonderen Umstände erfordern ein besonnenes Vorgehen. Klar ist jedenfalls, dass keiner der Partner in einem möglichen Jamaika-Regierungsbündnis seine komplette Agenda umsetzen kann. Um überhaupt miteinander vernünftig verhandeln zu können, muss sich jede der vier Parteien zunächst in den eigenen Reihen verständigen, welche Vorhaben ihr am wichtigsten sind. Das hört sich einfacher an als es ist. Die Versprechen der Parteien sind so umfangreich wie bereit gefächert.

Eine Koalition ist kein Gemischtwarenladen

Für die CSU steht zur Entscheidung an, ob sie nun die Mütterrente durchsetzen will oder lieber die Familienförderung - oder doch den zusätzlichen Wohnungsbau? Die FDP hat die digitale Bildung für prioritär erklärt, will aber gleichzeitig den Solidaritätszuschlag komplett abschaffen. Sie wird sich entscheiden müssen. Ebenso wie die Grünen, die Abschied nehmen wollen von der Kohle und dem Diesel, aber zugleich Kinder und Familien fördern wollen. Und in der CDU ist zu bedenken, wie viel Geld jetzt in die Migration fließen soll, wie viel in neue Stellen für Polizei und in den Schutz der europäischen Außengrenzen oder in Steuerentlastungen und die Entwicklungshilfe.

Klug wäre es, in einem zweiten Schritt aus den parteiinternen Prioritätenlisten eine gesamtkoalitionäre Liste zu machen. Um zu verhindern, dass sich der eine Partner vom anderen dominiert fühlt, spricht viel dafür, dass jede Partei ein eigenes großes Projekt vorantreiben kann, das sie für ihre Wähler erkennbar macht. Aus der Jamaika-Koalition im Bund würde dann eine Koalition der vier Leuchtturmprojekte - nicht aber ein Bündnis für viele kleine Tante-Emma-Laden-Vorhaben. Eine Koalition ist kein Gemischtwarenladen.

Die Verständigung auf Leuchtturmprojekte entzerrt auch das Gerangel ums Geld. Wenn fest steht, wo das Jamaika-Bündnis inhaltlich gestalten will, dann ist auch klar, wohin das Geld zuerst fließt. Und wenn dann noch finanzielle Mittel übrig sein sollten, dann kann die Prioritätenliste der Koalitionäre weiter abgearbeitet werden - aber bitte ohne neue Schulden.

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Quelle:
SZ vom 24.10.2017
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