Süddeutsche Zeitung

Solidaritätszuschlag:Zu viel und zu wenig

30 Jahre nach dem Fall der Mauer soll der "Soli" endlich wegfallen. Dabei wird allenthalben darüber gejammert, dem Staat fehle das Geld. Das ist falsch. Was fehlt, sind die richtigen politischen Prioritäten, die die Regierung setzen müsste.

Von Henrike Roßbach

Beinahe 800 Milliarden Euro wird der Staat in diesem Jahr an Steuern einnehmen, und dennoch prägt den öffentlichen Diskurs eine Zu-wenig-Diskussion: zu wenig Klimaschutz, zu wenige Lehrer, zu wenige fahrtüchtige Züge, zu wenige Mobilfunkmasten, zu wenig Rente - und all das, so die Erzählung, weil zu wenig Geld da sei. Es wird über die Sinnhaftigkeit der "schwarzen Null" gestritten, über die Schuldenbremse und über höhere Steuern auf Schnitzel und Salami.

Der Finanzminister hat nun aber erst einmal Steuererleichterungen auf den Weg gebracht. Auf zehn Milliarden Euro will der Bund verzichten, der Solidaritätszuschlag soll für neun von zehn Steuerzahler entfallen. Es kommt nicht oft vor, dass der Staat sich von lieb gewonnenen Einnahmequellen trennt. Insofern ist es lobenswert, dass der Soli zumindest teilweise abgeschafft werden soll. Eine wirklich saubere steuerpolitische Entscheidung aber wäre es gewesen, den Zuschlag ganz zu streichen - statt ihn als verkappte neue Reichensteuer am Leben zu halten.

Der Gedanke, dass allein der Staat Geld sinnvoll auszugeben weiß, ist zwar in vielen Kreisen populär. Die sichtbaren Defizite im Land, trotz jahrelanger Steuerrekorde, sprechen aber eine andere Sprache. Sie sind nicht das Ergebnis von zu wenig Geld, sondern von falsch gesetzten Prioritäten.

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Quelle:
SZ vom 12.08.2019
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