Süddeutsche Zeitung

Skigebiete:Auf Eis gebaut

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Österreichs hoch gelegene Wintersport-Arenen investieren trotz des Klimawandels in neue Infrastruktur. Ötztal und Pitztal denken sogar intensiv über einen Zusammenschluss nach.

Von Thomas Becker

Es war kein gutes Jahr für Gletscher. Die Meteorologen der Vereinten Nationen bezeichneten es als "Hitzejahr 2015" und verglichen es mit dem bisherigen Rekordjahr 2003. Die überdurchschnittlich hohen Temperaturen haben die Gletscher wieder Substanz gekostet. Viele waren heuer komplett schneefrei, sodass auch das Schneematerial, das in Zukunft Eis werden kann, angegriffen wurde und der Schnee von einigen Jahren abgeschmolzen ist. So hat der Stubaier Gletscher etwa zwei Meter an Dicke eingebüßt. Wenn man früher an der Station Eisgrat aus der Gondel stieg, um auf der Piste die Skier anzuschnallen, musste man bergauf gehen - heute geht es ein paar Schritte bergab. Und wer an einem klaren Tag mit dem Flugzeug über die Alpen fliegt, der sieht: Allzu lange geht das nicht mehr mit dem Gletscher-Skifahren. Doch bis dahin soll es den Gästen an nichts fehlen, die Bergbahnbetreiber rüsten ordentlich auf.

Millionen Euro fließen in den Ausbau der Bahnen und Pisten

Am Kitzsteinhorn, wo vor 50 Jahren das erste Ganzjahres-Skigebiet eröffnet wurde, feierte man am vergangenen Wochenende unter dem Motto "The Power of Change". Mit der Eröffnung der zwei neuen Seilbahnen "Gletscherjet 3 und 4" soll dabei eine neue Ära in Sachen Kapazität und Komfort beschritten werden. Der Gletscherjet 3 ist eine Kombi-Bahn mit Zehner-Kabinen- und einer Achter-Sesselbahn mit beheizten Sitzen, die 3600 Personen pro Stunde in dreieinhalb Minuten vom Alpincenter im Tal auf 2628 Meter bringt. Der Gletscherjet 4 ist eine Zehner-Kabinen-Bahn mit beheizten Sitzen, die die Gäste in knapp vier Minuten bis auf knapp 3000 Meter transportiert. 25 Millionen Euro hat sich die Kaprun AG den Ausbau kosten lassen. Im Geschäftsjahr 2014/15 kamen knapp eine Million Gäste, und zwar nicht nur Skifahrer und Freerider, sondern auch Ausflügler, die auf der Panorama-Plattform "Top of Salzburg" (3029 Meter) die Aussicht genießen. Wintersportler freuen sich derweil über Schneesicherheit von Oktober bis in den Frühsommer.

Auch im Stubaital wurde kräftig investiert: etwa 58 Millionen Euro. Nach jahrelangen Verhandlungen über die Verlagerung des Landschaftsschutzgebietes begannen im Sommer unterhalb der Dresdner Hütte die Bauarbeiten an der Mittelstation Fernau für das Projekt 3S Eisgratbahn. Im vergangenen Winter musste die Zubringerbahn von der Talstation an der Après-Ski-Hochburg Mutterbergalm zehn Mal wegen Windes gesperrt werden - die neue Bahn soll diese Ausfälle auf ein Mindestmaß reduzieren. Der durchaus nervige Pendelbusverkehr zwischen Bahn und Parkplätzen wird verringert, die Wartezeit an der Gondel verkürzt. Mehr als 3000 Gäste pro Stunde sollen künftig nach oben transportiert werden - 1500 mehr als zuvor. Geplante Inbetriebnahme ist Ende Oktober 2016. Das wird nicht nur die Freestyler freuen, die unterhalb der Jochdohle am Gaiskarferner einen derart hochkarätigen Snow-Park zur Verfügung haben, dass vor Olympia 2014 sogar ein gewisser Shaun White zum Training vorbeikam.

Ein paar Täler weiter nach Osten, am Hintertuxer Gletscher, sind dagegen eher die alpinen Rennläufer zu Hause. Seit dem 20. November gibt es auch hier eine Verbesserung: Die "Lärmstange 2" hat den Fahrbetrieb aufgenommen, eine Sechser-Sesselbahn mit Sitzheizung und Wetterschutzhaube. Die Bergstation liegt auf 3135 Metern und erschließt die ganzjährig schneesicheren Pisten am Kaserer sowie am Olperer. 2800 Skifahrer pro Stunde werden nun entlang der Lärmstange, diesem so markanten Stück Fels, nach oben befördert. Und danach auf eine Graukassuppe ins renovierte Spannagelhaus, das nach dem Umbau zwar nicht mehr ganz so urig daherkommt, aber einen Besuch wert ist.

Im etwas abseits der üblichen Pfade gelegenen Kaunertal, in Tirols jüngstem, erst 1980 eröffneten Gletscherskigebiet, wo Kinder bis zum zehnten Lebensjahr in Begleitung eines Elternteils sowie Senioren ab dem 80. Lebensjahr gratis Ski fahren können, muss man erst mal die 29 Kehren der Gletscherstraße hinter sich bringen, bevor es in 2750 Metern Höhe auf die Ski geht. Der im vergangenen Jahr errichtete 140 Meter lange, beleuchtete "Wiesejaggl-Tunnel" erschließt eine anspruchsvolle schwarze Piste und damit die Möglichkeit einer durchgehenden Abfahrt vom Karlesjoch bis zur Talstation der Ochsenalm: insgesamt mehr als 1000 Höhenmeter Abfahrt. Und wer es etwas gemütlicher mag, der kann im kleinen Familienskigebiet in Fendels jeden Donnerstag zum Nachtskilauf oder zum Nachtrodeln gehen.

Große Pläne hat man derweil im Pitz- und Ötztal. Schon seit 40 Jahren reden die Bergbahnbetreiber von einem Zusammenschluss der beiden Skigebiete. Es soll das größte Gletscherskigebiet Europas, wenn nicht gar der Welt werden - glaubt man den Marketing-Experten. Realisiert werden soll das durch eine Erweiterung des Pitztaler Gebietes am Linken Fernerkogel, eines Bereichs, der bereits vor zehn Jahren zur Erweiterung freigegeben worden war. Derzeit wird noch die Umweltverträglichkeit des Projekts geprüft. Für eine Weile bleibt es also noch beim getrennten Gletscher-Spaß: lebhaft und kosmopolitisch am James-Bond-Drehort und Party-Spot Sölden, etwas beschaulicher im Pitztal.

Und die Zukunft der Alpengletscher? Auf die freuen sich vor allem die Glazioarchäologen. Sie wollen irgendwann die Frage beantworten, was unter dem Dauereis alles so steckt. Die Skifahrer könnten wohl noch eine Weile auf die Antwort warten.

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Quelle:
SZ vom 17.12.2015
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