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Atomwaffen:Friedensforscher warnen vor atomarem Wettrüsten

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Fast 13 000 atomare Sprengköpfe zählt das Stockholmer Institut Sipri, 375 weniger als im Vorjahr - aber nur, weil die USA und Russland alte Waffen ausrangierten. Der Trend weise erstmals seit Ende des Kalten Kriegs in eine andere Richtung.

Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri geht davon aus, dass die Atomwaffenarsenale in der Welt als Folge derzeitiger Spannungen schon bald wieder größer werden. Laut einem am Montag veröffentlichten Bericht besaßen die USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea zu Beginn dieses Jahres insgesamt 12 705 atomare Sprengköpfe und damit 375 weniger als Anfang 2021. Der Rückgang wird vor allem der Entsorgung ausrangierter Sprengköpfe durch Russland und die USA zugeschrieben. Die Anzahl der operativ einsetzbaren Nuklearsprengköpfe schätzen die Friedensforscher aktuell auf 3732. Davon würden etwa 2000 Sprengköpfe auf hoher Alarmstufe bereitgehalten. Fast alle seien im Besitz Russlands oder der USA.

Trotz einer leichten Verringerung der Gesamtzahl nuklearer Sprengköpfe rechnen die Friedensforscher in ihrem Jahresbericht damit, dass diese Zahl im Laufe des kommenden Jahrzehnts vermutlich wieder wachsen wird. Sipri-Forscher Wilfred Wan sprach von einem "alarmierenden Trend".

Es gebe klare Anzeichen dafür, dass der kontinuierliche Rückgang seit dem Kalten Krieg beendet sei, warnten die Experten. Ohne sofortige und konkrete Abrüstungsschritte der neun Atomwaffenstaaten könnte der globale Bestand nuklearer Waffen bald erstmals seit dem Kalten Krieg wieder ansteigen. Rund 90 Prozent aller Atomwaffen auf der Erde befinden sich in den Beständen der USA und Russlands. In beiden Ländern laufen nach Angaben von Sipri umfassende und kostspielige Programme, um die Atomsprengköpfe, Trägersysteme und Produktionsstätten auszutauschen und zu modernisieren.

Gleiches gilt für die weiteren Atomwaffenstaaten, zu denen Sipri zufolge Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea zählen. Sie haben demnach zuletzt allesamt neue Waffensysteme entwickelt oder stationiert oder dies zumindest angekündigt. Sipri-Forscher Wan sagte, die meisten Atommächte schärften "ihre nukleare Rhetorik und verdeutlichen die Rolle, die diese Waffen innerhalb ihrer militärischen Strategien spielen".

Im Januar 2021 trat der UN-Atomwaffenverbotsvertrag TPNW in Kraft, der bis Mai von 86 Staaten unterzeichnet und von 61 Ländern ratifiziert wurde. Atommächte wie die USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien, die zugleich die fünf permanenten Mitglieder des UN-Sicherheitsrates sind, lehnen das Abkommen jedoch ab. Kritiker warnen schon länger, dass etwa die USA auf sogenannte "Mini-Nukes" mit geringerer Sprengkraft setzen, die gezielter eingesetzt werden können, aber ähnlich zerstörerisch sind.

Wegen des Ukraine-Krieges seien die bilateralen Gespräche zwischen Russland und den USA ins Stocken geraten, erklärten die Friedensforscher. Russland habe sogar offen mit dem möglichen Einsatz von Atomwaffen gedroht. Auch keiner der anderen Nuklearwaffenmächte führe Rüstungskontrollverhandlungen. "Das Risiko eines Einsatzes atomarer Waffen scheint heute höher als je zuvor seit dem Höhepunkt des Kalten Krieges", sagte Institutsdirektor Dan Smith.

Die sieben anderen Nuklearmächte verfügen Sipri zufolge zwar über deutlich kleinere Arsenale. Doch auch sie seien weiter dabei, diese zu modernisieren oder aufzustocken. Nach Sipri-Angaben erweitert zum Beispiel China sein Arsenal - Satellitenbilder zeigten den Bau von mehr als 300 neuen Raketensilos. Großbritannien hatte 2021 angekündigt, die Obergrenze für seinen gesamten Vorrat an Sprengköpfen zu erhöhen. Während das Land China und Russland wegen mangelnder Transparenz kritisierte, kündigte es seinerseits an, keine Zahlen mehr über die eigenen Bestände offenzulegen. Frankreich startete derweil im Februar 2021 ein Programm zur Entwicklung strategischer Atom-U-Boote der dritten Generation mit ballistischen Raketen.

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