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Singapur: Der Staatsgründer tritt ab:Das brisante Erbe des Methusalem

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Er ist Älter als Fidel Castro und war länger in der Politik: Nach 52 Jahren in der Politik tritt Lee Kuan Yew, der 87-jährige Staatsgründer Singapurs, ab. Bis zuletzt besimmte er als "Mentor Minister" die Geschicke des Landes mit, doch sein Erbe ist ambivalent: Yew hinterlässt ein reiches Land - und eine zornige Jugend.

Christoph Giesen

Wer mit 87 Jahren in den Ruhestand geht, der hat es sich redlich verdient, sollte man meinen. Der muss sich nichts mehr beweisen und kann getrost Platz für die Jüngeren machen. Doch im Fall von Singapurs Staatsgründer Lee Kuan Yew ist das anders. Sein Rückzug kommt überraschend. Nach 52 Jahren in der Regierung hat Lee Kuan Yew Ende vergangener Woche an seiner letzten Kabinettssitzung teilgenommen.

Bis 1990 war er Premierminister des Stadtstaats, danach 14 Jahre lang "Senior Minister". 2004 wurde extra für ihn der nicht in der Verfassung vorgesehene Posten des "Mentor Minister" geschaffen. Singapurs Presse nennt ihn seitdem ehrfürchtig: MM. Und MMs Durchhalteparolen sind legendär. 1988 sagte er: "Diejenigen, die glauben, dass ich mich nach meinem Rücktritt als Premierminister aus der Politik zurückziehen werde, sollten besser ihre Köpfe ärztlich untersuchen lassen."

Als er 2003 zu seinem 80. Geburtstag von westlichen Journalisten gefragt wurde, ob er denn gedenke abzutreten, wenn ihm jemand signalisiere, dass er nicht mehr gebraucht werde, antworte Lee barsch: "Das muss man mir nicht sagen. Ich kann es fühlen."

Hat er also gefühlt, dass seine Zeit vorüber ist? Oder waren es die schwachen Wahlergebnisse seiner Partei, der People's Action Party (PAP), die zu seinem Rückzug geführt haben? Vieles spricht dafür, dass das Wählervotum bei den Parlamentswahlen am 7. Mai den Ausschlag gegeben hat.

Zwar konnte die PAP wegen des Mehrheitswahlrechts 81 von 87 Parlamentssitzen erringen; vor fünf Jahren waren es noch 82 von damals 84 Sitzen gewesen. Doch deutlich stärker als der Verlust an Sitzen war der Rückgang der Stimmen: Nur noch 60,1 Prozent der Singapurer votierten für die PAP - vor zehn Jahren waren es noch 75 Prozent gewesen.

In Singapur gibt es ähnlich wie in Großbritannien ein Mehrheitswahlrecht. Im Stadtstaat herrschen allerdings verschärfte Regeln. Während in Großbritannien pro Wahlkreis lediglich ein Abgeordneter ins Unterhaus einzieht, sind in Singapur die Wahlkreise so geschnitten, dass häufig zwischen vier und sechs Sitze auf einmal vergeben werden.

Seit Jahrzehnten gilt der sogenannte Singapur-Deal, ein unausgesprochener Pakt zwischen Regierung und Bevölkerung: Ihr haltet euch aus der Politik raus und wir sorgen dafür, dass die Wirtschaft brummt. Die Regierung hat bislang ihren Teil geliefert. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von mehr als 35.000 Dollar pro Kopf sind die Singapurer viel reicher als ihre Nachbarn.

Doch trotz des Wohlstands haben diesmal 40 Prozent der Wähler für die Opposition votiert, für Politiker und Parteien, die kaum jemand kennt. Die Presse ignoriert die Opposition konsequent. In regelmäßigen Abständen landen Oppositionspolitiker wegen Verleumdung und Beleidigung auf der Anklagebank. Politiker wie der Generalsekretär der Singapore Democratic Party, Chee Soon Juan, sind durch die vielen Gerichtsverfahren völlig verarmt. Chee hat mehrere Monate als notorischer Querulant im Gefängnis gesessen, musste Privatinsolvenz anmelden und darf das Land nicht verlassen.

Selbst Geschenke vor der Wahl, wie die plötzliche Rückerstattung der Fernsehgebühren, haben viele Wähler nicht davon abgehalten, für die Opposition zu stimmen. Gerade die junge Generation muckt auf. Während die Älteren sich noch an die unruhigen Zeiten in den sechziger Jahren erinnern und Lee Kwan Yew dankbar für den wirtschaftlichen Aufstieg sind, üben die Jungen Kritik an der Regierung.

Zwei Saläre

Sie sind unzufrieden, dass die Immobilienpreise rasant steigen und die Regierung trotz zahlreicher Ankündigungen die Preisrallye nicht drosselt. Via Facebook und in Blogs geißeln sie außerdem die Selbstbedienungsmentalität der alten Garde und prangern die massiven Gehaltserhöhungen für Minister und hohe Beamte an, die das Kabinett kurz vor den Wahlen durchwinkte.

Den größten Zuschlag bekam Singapurs Präsident Sellapan Ramanathan. Seine Bezüge steigen nach der jüngsten Bonusrunde von 3,6 Millionen auf 4,3 Millionen Singapur-Dollar (etwa 2,4 Millionen Euro) pro Jahr. Besonders viel Unmut rief eine Regelung hervor, die es den Kabinettsmitgliedern erlaubt, bereits vom 55. Lebensjahr an ihre Pension zu beziehen, denn daneben kassieren sie noch ihre vollen Gehälter als Minister und verdienen somit doppelt. Auch MM Lee Kuan Yew bekam bis vergangene Woche zwei Saläre. Seine Rente als Staatschef und sein Gehalt als Mentor Minister.

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Quelle:
SZ vom 25.05.2011
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