Süddeutsche Zeitung

Schleyer-Entführung:Entlarvende Inszenierung

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Die RAF hat Schleyer in Gestapo-und SS-Manier behandelt. Sie demaskierte damit nicht das System, sondern nur sich selbst.

Heribert Prantl

Es gibt zwei Bilder der jüngeren deutschen Zeitgeschichte, die sich eingebrannt haben ins kollektive Gedächtnis: Das eine Foto aus dem Jahr 1970 zeigt Bundeskanzler Willy Brandt knieend vor dem Ehrenmal für das jüdische Ghetto in Warschau. Das andere, aus dem Jahr 1977, zeigt den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer als Gefangenen der RAF.

Auf dem einen Bild leistet Willy Brandt, der frühere Widerstandskämpfer gegen Hitler, Repräsentant des "anderen Deutschland", stumm Abbitte für die von Deutschen verübten Greuel. Auf dem anderen Bild steht in Großbuchstaben: "Seit 31 Tagen Gefangener" der RAF. Es gibt eine Beziehung zwischen diesen Bildern, die jüngst wieder bekannt wurde: Die RAF hatte erwogen, nicht Schleyer, sondern Brandt zu entführen.

Die RAF wählte dann Schleyer als Opfer - zum einen, weil er ihr als Repräsentant der Hitlergeneration galt, jener Generation also, gegen die die 68er-Generation aufgestanden war; zum anderen, weil Schleyer, auch weit jenseits des Sympathisantenlagers der RAF, eine Negativfigur war, Verkörperung des Fünfziger-Jahre-Kapitalismus.

Der Stern hatte ihn 1974 in einer Reportage zum "Boss der Bosse" stilisiert, der sein Engagement für die Nazis nicht beschönige, sondern mannhaft dazu stehe. Auf ihn konnte alles gehäuft werden, "was überhaupt gegen die Kriegsgeneration gesagt werden konnte: ein ehemaliges studentisches SS-Mitglied, das sich...zu einem bundesdeutschen Großindustriellen umgewandelt hatte". So beschreibt es Gerd Koenen in seinem Buch über das "rote Jahrzehnt" von 1967 bis 1977.

Der Terrorist Stefan Wisniewski, damals 24-jährig und vor dreißig Jahren einer der Anführer des verbrecherischen Kommandos, sagte später in einem Interview, man habe ursprünglich die Idee gehabt, Schleyer "mit seiner SS-Nummer und einem Schild ,Gefangener seiner eigenen Geschichte' abzulichten". Diese Idee sei verworfen worden, weil die RAF befürchtete, der öffentliche Druck auf die Regierung, die Forderungen der Geiselnehmer zu erfüllen, könne schwächer werden.

Diese RAF war ein kriminelles Produkt der Zerfallsgeschichte der 68er- Generation, der Generation, die von ihren Eltern Aufklärung, Schuldbekenntnis und Sühne für die NS-Verbrechen verlangte; sie wuchs aus einer Generation heraus, welche die moralische Integrität für sich reklamierte. Mit der Entführung und Ermordung Schleyers wurde diese Integrität pervertiert.

Die RAF hat Schleyer in Gestapo-und SS-Manier erschossen. Mit den Fotos vom gedemütigten Mann, auf denen er mit den Schildern um den Hals zu sehen ist, welche die Dauer seines Martyriums benennen, dekuvrierten sich fanatisierte Moralisten als selbstgerechte Henker.

Daneben aber bleibt das Warschau-Bild in lebhafter Erinnerung, auf dem der Kanzler, Repräsentant des Staats, in Scham auf die Knie sank - ein Bild, das die Nachkriegsgeneration, die von ihren Eltern nur "Wir-haben-nicht-gewusst"-Sprüche kannte, in staunende Erregung versetzte. Daher kam der Konflikt zwischen der Kriegs- und der Nachkriegsgeneration zum Erliegen. Mit den Schleyer-Bildern endet die Nachkriegszeit.

Gefangener der RAF: Je länger die Geiselnahme dauerte, umso bitterer litten die Betrachter dieser Bilder mit dem Opfer mit - unabhängig vom politischen Standpunkt, von Alter und Generation; das wirkt bis zum heutigen Tag. Die RAF-Inszenierung verfehlte ihr Ziel, der Gesellschaft die "Fratze des Kapitalismus" zu zeigen; man sah auf einen hilflosen, aber immer noch starken, um Selbstbeherrschung ringenden Mann, man sah einen Blick, in dem Widerstand und Flehen zugleich lag, man sah den Menschen Schleyer; dies ließ alle anderen Bilder von ihm verblassen.

Bilder von großer Traurigkeit

In diesen Bildern liegt eine große Traurigkeit, in ihnen zeigen sich düstere Resignation und Verzweiflung, aber auch Spuren von Überlebensmut und Hoffnung. Aus diesen Bildern sprechen die gefassten Botschaften Schleyers an seine Familie, hört man die Appelle an die Bundesregierung, die Klagen über deren Verzögerungstaktik.

In den ersten Jahren der RAF war das revolutionär-humane Pathos, das Ulrike Meinhof zehn Jahre lang in ihren konkret-Kolumnen verbreitet hatte, das Reservoir, aus dem die RAF schöpfte, um ihren Gewaltaktionen den Anschein von Legitimität zu verleihen (so der Soziologe Wolfgang Kraushaar).

Bei der RAF gab es nun keine Diskussionen mehr darüber, ob man auch die kleinen Leute erschießen dürfe; die RAF erschoss sie bedenkenlos - sie exekutierte die Begleiter von Schleyer, zuvor schon die von Buback.

Gefangener der RAF: Es zeigt sich in diesen Bildern die Hybris von ein paar Dutzend Menschen, die sich als gewalttätige Vollstrecker der Geschichte fühlten und den Krieg gegen den Staat ausgerufen hatten. Die Bilder entlarvten nicht "das System" , sondern die RAF. Sie beendeten endgültig die klammheimlich-warmen Gefühle, die es in Teilen der Linken für die RAF noch gab.

Die Schleyer-Bilder zerstörten ex post die selbstgewisse Moralität der Nachkriegsgeneration; die Überheblichkeitspose gefror. Und so stehen am Ende der bundesdeutschen Nachkriegszeit tatsächlich zwei Bilder: das vom Kniefall Brandts und das vom Mordfall Schleyer.

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Quelle:
SZ vom 05.09.2007
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