Süddeutsche Zeitung

Schäfer-Gümbel im Interview:"Der Fehler war der Wortbruch"

Lesezeit: 4 min

SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel über Fehler der Hessen-SPD - und welche Koalition er ausschließt.

P. Fahrenholz und Ch. Hickmann

Thorsten Schäfer-Gümbel ist der Herausforderer von Roland Koch (CDU). Er hat, von diesem Montag an gerechnet, noch 48 Tage Zeit, um sich als SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl am 18. Januar zu präsentieren und seine Partei nach zahlreichen Fehlern wieder als wählbare Alternative erscheinen zu lassen.

SZ: Herr Schäfer-Gümbel, Sie müssen sich in Hessen im Schnelldurchlauf bekannt machen. Eine neue Brille haben Sie sich schon zugelegt, doch man hat den Eindruck, dass Sie nicht vorwärtskommen, weil Andrea Ypsilanti wie Blei an Ihren Füßen hängt. Ist es an der Zeit, sich von ihr loszusagen?

Schäfer-Gümbel: Ich habe nach den ersten zwei Wochen nicht den Eindruck, dass wir als Symbiose wahrgenommen werden, sondern dass meine Eigenständigkeit schon sehr deutlich geworden ist.

SZ: Bilden Sie denn eine Symbiose?

Schäfer-Gümbel: Wir sind es nicht, wir waren es nie, und wir werden es nie sein. Wir schätzen uns, wir kennen uns seit vielen Jahren, aber wir haben nicht immer auf einer Seite gestanden. Die Personalentscheidung kam für alle überraschend, auch für mich selbst. In den ersten Tagen wurde ein Bild von mir gezeichnet, ich sei eine Art Marionette. So etwas bekommt man nicht in drei Wochen aus der Welt. Wir sind aber schon ein gutes Stück vorangekommen.

SZ: Sie müssen Ihre arg strapazierte Basis dazu bringen, sich zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres an die Wahlkampfstände zu stellen. Müssten Sie nicht stärker betonen, dass Sie für einen echten Neuanfang stehen?

Schäfer-Gümbel: Es wäre unglaubwürdig, wenn ich jetzt erzähle, ich hätte nichts mit den vergangenen Monaten zu tun gehabt. Stattdessen benenne ich, wo die Fehler gewesen sind und wie wir damit in Zukunft anders umgehen. Und der zentrale Fehler war nicht, vor der Wahl etwas auszuschließen. Es ging nicht um eine taktische Abgrenzung zur Linkspartei. Sie war definitiv ernst gemeint.

SZ: Was war also der Fehler?

Schäfer-Gümbel: Der Fehler war, nach der Wahl etwas anderes zu machen, als wir vorher gesagt haben - und zu unterschätzen, welche Emotionen und Irritationen das auslöst.

SZ: Der Fehler war der Wortbruch?

Schäfer-Gümbel: Ja klar, der Fehler war der Wortbruch.

SZ: Frau Ypsilanti sagt hingegen, der Fehler war, vor der Wahl ein Bündnis mit der Linken auszuschließen.

Schäfer-Gümbel: Wir wissen selbst am besten, wo unsere Fehler waren.

SZ: Ypsilanti ist weiter Landes- und Fraktionsvorsitzende, Sie sind Spitzenkandidat ohne Amt. Warum haben Sie es nicht zur Bedingung gemacht, wenigstens eines dieser Ämter zu übernehmen?

Schäfer-Gümbel: Sie kennen meine Bedingungen gar nicht, weil ich über die nicht rede. Frau Ypsilanti hält mir als Fraktions- und Landesvorsitzende den Rücken frei. Nach dem 18. Januar aber werde ich nicht zurück in die Kabine gehen, sondern eine Spitzenpersönlichkeit in der hessischen SPD bleiben und mich auch sehr viel stärker in die Gestaltung der Bundespolitik einmischen.

SZ: Sie zeigen sich für alle Bündnisse offen. Noch im März haben auch Sie vehement dafür plädiert, eine große Koalition auszuschließen. Warum nun dieser Wandel?

Schäfer-Gümbel: Damals, unmittelbar nach dem Scheitern unseres ersten Versuchs zur Bildung einer Minderheitsregierung, wären wir mit einer großen Koalition in einen doppelten Wortbruch hineingelaufen. Der Politikwechsel wäre nicht möglich gewesen.

SZ: Aber plötzlich soll er auch in einer großen Koalition möglich sein?

Schäfer-Gümbel: Wir haben aus den hessischen Verhältnissen gelernt. Wir beurteilen Koalitionen nur noch danach, was inhaltlich möglich ist. Aber bislang sehe ich keinerlei Belege dafür, dass die hessische CDU sich inhaltlich und personell vom System Koch gelöst hat, also liberaler geworden ist. Deshalb sage ich klar: Für Roland Koch gibt es nur eine einzige Konstellation, in der er Ministerpräsident bleiben kann, nämlich wenn er eine schwarz-gelbe Mehrheit bekommt.

SZ: Sie schließen also eine große Koalition mit Roland Koch an der Spitze aus?

Schäfer-Gümbel: Wenn Sie es so übersetzen wollen, können Sie das gern tun.

SZ: Was ist Ihre Wunschkoalition?

Schäfer-Gümbel: Wir haben einen rot-grünen Koalitionsvertrag auf den Tisch gelegt, der einige für uns schmerzhafte Zugeständnisse enthält, der aber insgesamt ein guter Kompromiss ist. Ich habe überhaupt keinen Grund, mich davon zu distanzieren. Wenn wir keine absolute Mehrheit bekommen, sind die Grünen also mein Wunschpartner.

SZ: Die Grünen dreschen ständig auf Sie ein. Sieht so ein Wunschpartner aus?

Schäfer-Gümbel: Ich nehme das eher als Wahlkampf-Positionierung wahr.

SZ: Für eine Zweierkonstellation dürfte es kaum reichen. Wen wollen Sie dann mit ins Boot holen? Wieder die Linke?

Schäfer-Gümbel: Erst einmal müssen wir sehen, ob die Wähler uns überhaupt in diese Situation versetzen.

SZ: Sie haben sich personell bereits von Ihrer Vorgängerin abgegrenzt. Hermann Scheer wird nicht mehr in einem Schattenkabinett vertreten sein. Wird die Wirtschaftspolitik in Ihrem Wahlkampf eine wichtigere Rolle spielen?

Schäfer-Gümbel: Wir sind reduziert worden auf die Gleichung Wirtschaftspolitik gleich Windkraftanlagen. Das entspricht nicht im mindesten unserem Programm. Wir müssen darauf achten, dass die Breite unserer wirtschaftspolitischen Vorstellungen zur Geltung kommt.

SZ: In der Krise wird das entscheidend sein. Wie wollen Sie ihr begegnen?

Schäfer-Gümbel: Wir setzen auf mehrere Punkte: politische Unterstützung, Struktur- und Innovationsförderung, Bürgschaften und Steuereffekte.

SZ: Und bei den Steuern?

Schäfer-Gümbel: Eine allgemeine Steuerreduzierung wäre ein großer Fehler, damit werden wir die Nachfrage nicht verbessern. Dies gilt auch für zeitlich befristete Mehrwertsteuersenkungen. Die Umstellungskosten für Handel und Industrie wären zu groß. Steuern müssen eine Lenkungsfunktion erfüllen, und diese könnte darin liegen, dass neue Werte konsumiert werden.

SZ: Was heißt das konkret?

Schäfer-Gümbel: Wir müssen die Verbindung von Arbeit und Umwelt bedienen und die ermäßigte Mehrwertsteuer von sieben Prozent auf Güter anwenden, die besonders energiesparend oder klimaverträglich sind. Beispielsweise auf Haushaltsgeräte der Kategorie A im Energieverbrauch oder Fahrzeuge mit einem Kohlendioxid-Ausstoß von unter 150 Gramm pro Kilometer. Damit setzen wir einen Impuls bei Menschen mit niedrigen Einkommen. Wer einen 7-er BMW fährt, braucht diesen Impuls nicht.

SZ: Wo liegt Ihr Wahlziel? 25 plus x?

Schäfer-Gümbel: An solchen Spekulationen beteilige ich mich die ganze Zeit schon nicht.

SZ: Und was ist Ihre Schmerzgrenze?

Schäfer-Gümbel: Die habe ich für mich definiert, rede aber nicht über sie.

SZ: Sie werden an jenen 27 Prozent gemessen werden, bei denen die SPD stand, als Sie übernommen haben.

Schäfer-Gümbel: Sie werden dafür sorgen, dass das so sein wird.

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SZ vom 01.12.2008/aho
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