Süddeutsche Zeitung

Satirischer Umgang mit Extremismus:"Wenn das der Führer wüsste!"

Lesezeit: 4 Min.

Darf man Späße über Neonazis machen? Humor gegen rechts kann befreiend wirken - bei der schwer zu fassenden Anhängerschaft von Pegida stößt er allerdings an seine Grenzen.

Gastbeitrag von Martin Becher

Wunsiedel, 16. November: 200 Neonazis marschieren durch die Stadt. Wie jedes Jahr kommen sie zum "Heldengedenken" - in Wunsiedel war das Grab von Rudolf Heß, dem einstigen Stellvertreter Hitlers. Wie jedes Jahr demonstrieren Bürgerinnen und Bürger gegen den Aufmarsch. Und doch ist diesmal alles anders. Transparente begrüßen die Neonazis zum "Spendenlauf" - für jeden Meter, den sie marschieren, zahlen Sponsoren zehn Euro für die Aussteiger-Organisation "Exit". "Wenn das der Führer wüsste!" verkündet ein Plakat. Damit auch alle Läufer ankommen, gibt es Verpflegungsstationen, markiert mit dem Schild: "Mein Mampf". "Exit" bringt das 10 000 Euro, den Neonazis viel Spott, der Aktion bundesweite Aufmerksamkeit. Trotzdem bleibt die Frage: Kann man Menschenverachtung mit Ironie und Humor begegnen?

Wenn Neonazis demonstrieren, reklamieren sie für sich das Grundrecht der Demonstrations- und der Meinungsfreiheit - mit dem Ziel, die Grund- und Menschenrechte abzuschaffen. Sie handeln formal jenem Grundgesetz gemäß, dem ihr Hass gilt. Wer Neonazis entgegentritt, befindet sich also in einer asymmetrischen Auseinandersetzung und damit in einem Dilemma. Wer einen Neonaziaufmarsch erfolgreich behindert, verstößt oft gegen geltendes Recht - gesetzeskonforme Gegenaktionen bleiben leider oft symbolisch. Wer sich auf dieses Dilemma einlässt, bewegt sich auf dünnem Eis: Vor zwei Jahren demonstrierten zwei Mitarbeiterinnen am Lehrstuhl für Didaktik der politischen Bildung an der Uni Dresden nur wenige Meter voneinander entfernt. Die eine wurde dafür bei Bundespräsident Gauck eingeladen - die andere zu einer Strafe von 15 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt.

Die Selbstinszenierung des "Heldengedenkens" schrumpft ins Komische und Lächerliche

Im Dilemma befinden sich aber nicht nur die Gegendemonstranten. Wenn Kommunalpolitiker Demonstrationen von Neonazis verbieten, geben sie ihnen zugleich die Chance, vor Gericht ihr Recht durchzusetzen. Wer das Verbot der NPD will, riskiert, einen verbietenden Staat zu fördern. Berichten Medien - kritisch und empört - über Aktionen und Taten von Rechtsextremisten, bieten sie ihnen zugleich eine Bühne. Polizeibeamte müssen das Demonstrationsrecht zugunsten von Menschen schützen, die Menschenrechte mit Füßen treten - und sich dann noch den Spruch "Deutsche Polizisten schützen die Faschisten" anhören. Jede Auseinandersetzung mit der extremen Rechten ist von diesem Dilemma geprägt. Auch deshalb hilft es nicht weiter, wenn die verschiedenen Akteure sich gegenseitig Vorwürfe machen oder gar kriminalisieren.

In Wunsiedel ist es uns gelungen, diese Dilemma-Situation umzudrehen. Wir haben quasi die negative Energie der Nazis genutzt und für unsere positive Aktion verwandt. Plötzlich gab es für sie faktisch keine Wahl und kein Entkommen mehr. Hätten sie ihren "Trauermarsch" abgebrochen, hätten wir erreicht, was wir seit Jahren wünschen. Wären sie gewaltsam gegen unsere Plakate vorgegangen, hätten sie noch bessere Bilder produziert und die Polizei zur Auflösung ihrer Kundgebung gezwungen. So sind sie eben gelaufen und haben so getan, als merkten sie nichts.

Für dieses Vorgehen eignet sich kaum eine Neonazi-Kundgebung besser als der "Trauermarsch" von Wunsiedel. Dort wird alljährlich ein schauriges Theaterstück aufgeführt. Gewaltbereite Neonazis inszenieren sich als die einzig wahren "Trauernden" um die angeblich einzig wahren "Opfer". Diese absurde (Selbst-)Inszenierung konnten wir wunderbar nutzen und die Neonazis in die von ihnen selbstgebaute Falle tappen lassen: Ihrer heroischen Inszenierung des Trauermarschs konnten wir unsere Inszenierung des "unfreiwilligsten Spendenlaufs" überstülpen. Ironie und Humor waren immer Möglichkeiten der politischen Auseinandersetzung, auch mit den historischen Nationalsozialisten - man denke nur an Charlie Chaplins "Der große Diktator".

Viele Menschen empfanden unsere ironisch-spöttische Aktion als Befreiung - endlich einmal fand die Auseinandersetzung mit Neonazis nicht in einer schweren und moralisch beladenen Form statt. Im Lachen wurden die Neonazis kleiner. Auch hier wird das Dilemma deutlich: die Schwere der Gewalt, die von Neonazis ausgeht, macht sie so bedrohlich und groß. Durch unsere kreative Gegenaktion wurden sie auf ihre Normalgröße geschrumpft, und das war für viele Menschen befreiend. Allerdings: Eine nachhaltige Auseinandersetzung mit der extremen Rechten verlangt mehr. Es müssen sich die Bedingungen für die Bündnisse und Initiativen verbessern, die gegen Neonazis arbeiten. Dieses zivilgesellschaftliche Engagement benötigt noch mehr öffentliche Anerkennung, durch die Medien, durch die Politik. Es benötigt Geld aus staatlichen Haushalten, denn es geht um eine gesellschaftliche Aufgabe - das Engagement braucht dauerhafte Strukturen und fachliche Unterstützung.

Wenn Humor und Ironie ins Leere laufen

Die extreme Rechte selbst befindet sich im Umbruch. Demonstrationen wie in Wunsiedel, angemeldet und durchgeführt ausschließlich von organisierten Neonazis, sind nur noch eine Seite der Medaille. Bei Hogesa und Pegida treten extreme Rechte mit Populisten, Hooligans, EU- und Globalisierungskritikern sowie "normalen Bürgern" in Erscheinung. Dies führt zu den abenteuerlichsten Konstellationen verschiedener Parteien und Milieus im In- und Ausland. Die Eindeutigkeit geht verloren. Humor und Ironie drohen da ins Leere zu laufen.

Bisher sprach man oft davon, dass die extreme Rechte Organisationen und Themen unterwandert. Bei Pegida, den "Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes", aber ist dies nicht der Fall - dort ist die extreme Rechte von Anfang an dabei, quasi "eingebettet". Rechtsextreme Einstellungen werden im Mainstream etabliert. Diese "embedded Nazis" erfordern neue Formen der Auseinandersetzung - auch deshalb reagiert die Politik derzeit so verunsichert. Pegida ist mit rein staatlichen Mitteln nicht beizukommen, aber auch nicht allein nur durch die Zivilgesellschaft. Dem Cross-over aufseiten von Pegida muss auch auf der Gegenseite ein Cross-over entgegengesetzt werden - aber darauf sind wir schlecht vorbereitet. Das Misstrauen der in den Bündnissen engagierten Bürgern gegenüber staatlichen Behörden ist tief - auch das ist eine Folge des Skandals um den "Nationalsozialistischen Untergrund", der zehn Jahre lang unbehelligt morden konnte.

Andererseits: Kaum ein Begriff bietet so viele Ansätze zur Satire wie der des "Abendlands". Vielleicht sollte man auch aus dieser Anmaßung die Luft herauslassen? Das Problem löst es nicht. Befreien könnte es schon.

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Quelle:
SZ vom 22.12.2014
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