Süddeutsche Zeitung

Russland und die EU:Die Kunst des Drohens

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Ostsee-Pipeline, Raketenstationierung, Südossetien: Vor den Gesprächen mit der Europäischen Union in Nizza demonstriert Russland sein neues Selbstbewusstsein.

Sonja Zekri

Die Bundesregierung reagierte prompt und verbat sich jede Drängelei. Am Mittwoch hatte der russische Ministerpräsident Wladimir Putin gedroht, wenn Europa weiterhin an der geplanten Ostsee-Pipeline herummäkele, werde Russland die Nord Stream-Leitung eben nicht bauen.

Deutschland hatte die Pipeline von Russland nach Greifswald unter dem damaligen Bundeskanzler und heutigen Nord Stream-Aufsichtsratsvorsitzenden Gerhard Schröder auf den Weg gebracht. Schweden und Finnland aber machen seit Jahren Umweltbedenken geltend, Polen und Balten fürchten, die 1200 Kilometer lange Seeleitung werde ihre Länder energiepolitisch abschneiden.

"Europa muss sich entscheiden", sagte Putin; es klang drohend. Am Mittwoch verwahrte sich das Bundeswirtschaftsministerium gegen den Ton. Die Nord Stream-Leitung sei in "zentrales Objekt" zur Energiesicherung Europas. Bedenken müssten in "konstruktiven Gesprächen" ausgeräumt werden - nicht durch Drohungen.

Panzer zum Schutz der Bürger

Konstruktive Gespräche aber sind derzeit nicht das bevorzugte Mittel russischer Außenpolitik. Mit beispiellosem Selbstvertrauen ist der russische Präsident Dmitrij Medwedjew zu einer Gipfeltour aufgebrochen, die ihn erst zu den EU-Russland-Gesprächen nach Nizza und dann zum Weltfinanztreffen in Washington führen wird.

Der jüngste Versuch der Europäer, das eigentlich abgelaufene, aber weiterhin wirksame Partnerschaftsabkommen mit Russland im sibirischen Chantymansisk neu auszuhandeln, ist erst ein paar Monate her. Aber das Treffen lag vor dem Georgienkrieg und damit politisch gesehen in einer anderen Epoche.

Seitdem hat Russland durch die Anerkennung Abchasiens und Südossetiens die Grenzen eines souveränen Staates einseitig verändert. Zu Moskaus neuer außenpolitischer Doktrin gehört die Möglichkeit militärischer Interventionen zum Schutz russischer Staatsbürger.

Bis heute stehen russische Truppen jenseits der bisherigen südossetischen Grenzen, etwa in Achalgori. Dort herrschte seit dem Ende der Sowjetunion Georgien. Nun nutzt der neue südossetische Zwergstaat die russische Protektion zur Landnahme.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Dmitrij Medwedjew in Nizza erneut für eine neue euroatlantische Sicherheitsarchitektur werben wird.

Die EU hatte den Dialog über ein neues Partnerschaftsabkommen als Reaktion auf die Besetzung Georgiens Anfang September eingefroren. Wegen Achalgori sperrte sich Litauen bis zuletzt gegen die Wiederaufnahme der Gespräche. Am Ende musste es sich dem Druck fügen.

Auch Georgien fordert Standhaftigkeit im Umgan mit Russland. Aber die eskalationsfreudige Regierung in Tiflis hat ihre Unschuld am Kriegsausbruch bis heute nicht beweisen können.

So wird Dmitrij Medwedjew in Nizza erneut für eine neue euroatlantische Sicherheitsarchitektur werben, die noch wolkig wirkt und vor allem gegen die Nato zielt. Und er wird mit einigem Recht darauf hinweisen, dass die bisherigen Instrumente der Prävention und Deeskalation im Kaukasus gescheitert sind.

Dass Armenien und Aserbaidschan sich auf Druck Russlands plötzlich wieder zu Gesprächen über den Karabach-Konflikt bequemen, dürfte mindestens so viel mit Einsicht zu tun haben wie mit dem Respekt vor Russlands neuen Spielräumen. Etwas anderes als eine Großmachtrolle wird Russland nicht mehr akzeptieren.

Aber Moskau hat am Vorabend des Gipfels ja nicht nur gedroht, sondern auch nachgegeben. Einer der zähesten Streitpunkte beispielsweise ist die Erhöhung russischer Ausfuhrzölle auf Holz. Von Januar an will Russland diese eigentlich um mehr als das Dreifache erhöhen, von 15 auf 50 Euro pro Kubikmeter. Für die skandinavische Holzwirtschaft, die russisches Holz zu Papier, Baumaterial oder Zellulose verarbeitet, wäre das ein herber Schlag, in Europa würden die Papierpreise explodieren.

Zudem würde sich Russland damit den Beitritt in die Welthandelsorganisation versperren. Nun aber hat Wladimir Putin die Einführung der Zölle aufgeschoben, vielleicht für neun Monate, vielleicht für ein Jahr.

Gemeinsam durch die Krise

Auch Russland legt plötzlich nämlich wieder viel Wert auf die europäische Partnerschaft. Nach dem Georgienkrieg hatte sich Russland in die Selbstisolation begeben. Die Finanzkrise aber lässt Europa wieder zusammenrücken.

Allein im Oktober sind aus Russland 50 Milliarden Dollar Kapital abgeflossen; die schwindende Begeisterung für die milliardenteure Nord Stream-Pipeline mag am Ende weniger Drohung als finanzielle Not sein. Auswege aus der Finanzkrise werde man nur gemeinsam finden, sagte Medwedjew in einem Interview mit der französischen Tageszeitung Le Figaro: "Russland ist ein fester Bestandteil Europas. Wir wollen eine so enge Partnerschaft wie irgend möglich".

Dass er möglicherweise Kurzstreckenraketen in Kaliningrad und damit an der Grenze zu den EU-Staaten Litauen und Polen installieren möchte, ist für ihn kein Widerspruch. Diese wären, wie Medwedjew in seiner Rede an die Nation dargelegt hat, einzig die Antwort auf den geplanten US-Raketenschild in Polen und Tschechien.

Würde Amerika diese Pläne aufgeben, gäbe es keine Iskander-Raketen in Kaliningrad, so Medwedjew. Amerika überzeugt das nicht. US-Verteidigungsminister Robert Gates lehnte Moskaus Handel bei einem Nato-Treffen in Tallinn ab: Russlands Raketenpläne seien "kaum die Begrüßung, die eine neue amerikanische Regierung verdient".

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SZ vom 14.11.2008/akh
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