Süddeutsche Zeitung

Russland:"Eine eher sowjetische Anmutung"

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Mehr Macht für den Präsidenten, die Russen als "staatstragende Nation" und eine Betonung konservativer Werte: Ein Experte erklärt, was Putin mit der Änderung der russischen Verfassung bezweckt.

Interview von Hannah Beitzer

Was will Wladimir Putin? Um diese Frage kreist die russische Politik schon seit zwei Jahrzehnten. Nun hat der russische Präsident eine Reform der Verfassung angestoßen - im Eilverfahren und unter Beteiligung von Schauspielern, Künstlern und Kirchenvertretern. Am heutigen Dienstag diskutiert das Parlament die Änderung, wo Putin eine breite Mehrheit hinter sich weiß. Am 22. April soll die Bevölkerung über die Veränderungen abstimmen. Welche Rolle der Präsident künftig spielt, was ein Mindestlohn und das Thema Rente in der Verfassung verloren haben und welche Teile der Reform zu Widerspruch führen könnten, erklärt Fabian Burkhardt, Russlandexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik.

SZ: Der russische Präsident Putin lässt die Verfassung seines Landes ändern - welches Ziel hat er?

Fabian Burkhardt: Seit Putin die Reform ankündigte, ist sehr viel über die Ziele spekuliert worden. Seine Amtszeit endet 2024 - und natürlich fragten sich viele, wie er sich danach seine Macht sichern will. Etwa über eine Stärkung des Parlaments, wie es zuerst hieß? Über den Vorsitz des Staatsrates? Doch in der Version, die nun zur Abstimmung steht, ist nur eines klar: Die Position des Präsidenten wird gestärkt. Das nützt Putin zumindest für den Rest seiner Amtszeit. Aber wie es nach dem Ende der Amtszeit weitergeht, ist unklar.

Mitte Januar hat Putin die Reform angekündigt, am Donnerstag hat das Parlament den finalen Entwurf veröffentlicht, über den es nun abstimmt. Warum kommt die Reform gerade jetzt?

Umfragen zeigen, dass die russische Bevölkerung ein diffuses Bedürfnis nach Wandel hat. Das könnte zu einem Problem für Putin werden. Denn jahrelang wollten die Russen mehrheitlich Stabilität, vor allem, was die wirtschaftlichen Verhältnisse anging - und Putin verkörperte diese Stabilität. Die Rede, in der er die Verfassungsreform angekündigt hat, durfte man da durchaus als Angebot lesen. Auch die Tatsache, dass die Bevölkerung darüber abstimmen soll. Doch das täuscht natürlich nicht darüber hinweg, dass der Prozess insgesamt eine eher sowjetische Anmutung hatte. Es wurden in den Prozess zwar Personen des öffentlichen Lebens eingebunden - Sportler, Künstler, Vertreter der Kirchen -, aber es war von vornherein klar, dass er vom Kreml kontrolliert wird.

Was sind die wichtigsten Punkte?

Das Kernstück ist wie bereits erwähnt die veränderte Gewaltenteilung, die dem Präsidenten mehr Kompetenzen zuschreibt. Ein weiteres großes Thema ist die Souveränität des russischen Staates. Dabei geht es zum Beispiel darum, dass ihm keine Territorien abhandenkommen. Oder darum, das russische Recht gegenüber internationalem Recht zu stärken. Das ist nicht unbedingt eine neue Idee - seit 2015 schon kann das russische Verfassungsgericht Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte aussetzen, wenn diese der russischen Verfassung widersprechen. Ein Punkt, der bei der Bevölkerung sehr beliebt ist, ist die sogenannte Nationalisierung der Eliten. Zum Beispiel dürfen hohe Staatsbeamte oder Mitglieder des Parlaments keine Konten mehr im Ausland haben. Der Hintergrund ist, dass die Bevölkerung sehr wohl sieht, wie sich die Eliten bereichern - und damit sehr unzufrieden ist. Ursprünglich wäre sogar der Besitz von Immobilien im Ausland verboten gewesen. Aber das hätte zu viele Abgeordnete betroffen.

Bisher steht die Bevölkerung der Reform eher unentschlossen gegenüber - wie will Putin sie überzeugen?

Einem großen Teil der Menschen sind Themen wie die Ausgestaltung der Gewaltenteilung zu abstrakt. Für sie gibt es im Reformpaket einige Zuckerchen, die die Zustimmung zur Verfassungsänderung bei der Volksabstimmung am 22. April sichern sollen: Ein Mindestlohn und eine Indexierung der Rente sollen etwa in der Verfassung verankert werden. Andere Punkte, die man grob unter dem Begriff "Konservatismus" zusammenfassen könnte, sind meiner Ansicht nach eher auf Bestreben bestimmter Eliten im Reformpaket gelandet.

Worum geht es dabei?

Zum Beispiel die Verankerung des Glaubens an Gott in der Verfassung, der Schutz der Ehe als Verbindung von Mann und Frau und ein bestimmtes Geschichtsbild. Im Entwurf erwähnt sind die "tausendjährige Geschichte" der Russischen Föderation, der Schutz der "Vaterlandsverteidiger" sowie der "Schutz der historischen Wahrheit" als Aufgabe Russlands. Allerdings sind diese Punkte sehr allgemein formuliert - wie sie konkret ausgestaltet werden, wird sich noch zeigen. Es hilft aber natürlich den konservativen Gruppen, die zum Beispiel gegen "homosexuelle Propaganda" vorgehen wollen, wenn sie sich auf die Verfassung berufen könnte.

Warum gibt es keine breite Mobilisierung der Opposition?

Natürlich gibt es Kritik, vor allem daran, dass alles so schnell und ohne nennenswerte Einbindung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen geschehen ist. Dass es keine größere Mobilisierung gegen die Änderungen gibt, liegt vielleicht unter anderem daran, dass der bekannteste Oppositionelle Alexei Nawalny sich gegen Proteste zum Schutz der Verfassung ausgesprochen hat. Er ist der Meinung, dass sie ohnehin schon schlecht ist und es auf die Änderungen nicht mehr ankommt. Für Proteste könnte jedoch die Festschreibung von Russisch als Staatssprache mit den Russen als "staatstragende Nationalität" sorgen. Darauf reagieren einige Regionen, die stark von den ethnischen Minderheiten des Vielvölkerstaats geprägt sind, empfindlich. Zum Beispiel Tatarstan, wo Tatarisch neben Russisch offizielle Sprache ist. In den Regionen hat sich in den vergangenen Jahren ein eigener lokaler Patriotismus entwickelt - und die Tatsache, dass über die meisten wichtigen Fragen in Moskau entschieden wird, missfällt immer mehr Menschen. Proteste könnte es auch geben, wenn es bei der Volksabstimmung am 22. April Manipulationen gibt. Die Regeln für die Abstimmung wurden so geändert, dass Wahlbeobachtung erschwert wird.

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