Süddeutsche Zeitung

Russland:Putin droht Demonstranten

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Er wolle keine Gelbwesten haben, sagt der Kremlchef beim Treffen mit Macron.

Von Silke Bigalke, Moskau

Wladimir Putin spricht eigentlich viel lieber über die Probleme anderer als über die daheim. Beim Treffen mit Emmanuel Macron auf dessen französischer Sommerresidenz ging der Kremlchef zum ersten Mal persönlich auf die Proteste in Moskau ein. Wer sich dabei nicht ans Gesetz halte, der würde zur Verantwortung gezogen, sagte er. Niemand habe das Recht die "Situation bis ins Absurde" zu treiben. Er wolle keine "Gelbwesten" in Moskau haben. Die Proteste in Frankreich mussten in russischen Staatsmedien schon früher als Schreckensszenario herhalten.

Bereits vor zwei Wochen hatte der Kreml erklärt, er halte die Proteste nicht für eine Krise und die harte Reaktion der Polizei sei gerechtfertigt. Dass die Machthaber in Moskau die Situation aber sehr wohl als Krise betrachten, zeigt das Arsenal an Gegenmaßnahmen, mit denen sie die Menschen von nicht sanktionierten Protesten fernhalten wollen. Sie gehen längst über die absurd hohe Zahl der Sicherheitskräfte hinaus, die sich den Demonstrierenden jeden Samstag gegenüberstellt. An den vergangenen Wochenenden hatte die Polizei insgesamt etwa 2500 Menschen festgenommen.

Wer zur Demo geht, riskiert nicht nur, von anonymen Männern mit dunklen Helmen weggetragen zu werden, aktenkundig zu werden oder Geld- und Haftstrafen. Der gesamte Machtapparat ist in Gang gesetzt: Der Verband der Gerichtsvollzieher etwa hat Anfang August erklärt, er durchsuche nun Wohnungen von Demonstranten, die Schulden hätten. Wer also beim Protest im Polizeibus landet, dem droht auch Pfändung. Oder er wird zur Armee geschickt: Allein von denen, die während der Demo am 27. Juli festgenommen wurden, haben sich laut russischem Ermittlungskomitee 134 vor dem Militärdienst gedrückt. Einigen droht deswegen nun zusätzlich ein Strafverfahren und bis zu zwei Jahre Haft.

Laut einem Meinungsforschungsinstitut befürworten viele Moskauer das harte Vorgehen der Polizei

In Moskauer Bussen und Bahnen laufen Videos, die vor der Protestteilnahme warnen. Bekannte Künstler und Regisseure rufen dazu auf, nicht zu ungenehmigten Demos zu gehen. Das kremlnahe Meinungsforschungsinstitut Wziom hat Zahlen veröffentlicht, wonach 61 Prozent der befragten Moskauer das harte Vorgehen von Polizei und Nationalgarde befürworten - das alles erhöht den psychologischen Druck. Dabei kursieren im Internet etliche Videos, die Gewalt von Seiten anonymer Einsatzkräfte zeigen. Einem Jogger brachen die Beamten ein Bein, einer jungen Frau schlugen sie in den Bauch. Viele fordern nun, die Sicherheitskräfte sollen wenigstens ihr Gesicht oder ein Namensschild zeigen.

Die Moskauer Verkehrsbetriebe und die Autostraßenverwaltung fordern gemeinsam etwa 175 000 Euro Schadenersatz, weil die Demos zu Verspätungen geführt hätten. Bezahlen sollen diejenigen, die die Proteste ausgelöst haben: Einige Oppositionspolitiker, die nicht zur Wahl zum Moskauer Stadtparlament zugelassen wurden, zogen dagegen erstmals am 14. Juli zum Bürgermeistersitz, klopften dort an die Tür. Es folgten Wohnungsdurchsuchungen, Befragungen, Haftstrafen und Verdächtigungen, sie könnten vom Ausland gesteuert sein. Alexej Nawalny, der selbst nicht bei der Moskauer Wahl antreten wollte, sitzt im Gefängnis, weil er zum Protest aufgerufen hatte. Gegen seinen "Fonds zur Korruptionsbekämpfung" wird nun wegen Geldwäsche ermittelt, die Konten zahlreicher Unterstützer wurden eingefroren.

Am härtesten trifft es bisher die 13 Moskauer, denen eine Anklage wegen Teilnahme an "Massenunruhen" droht - wobei diese Straftat eigentlich mit Gewalt, mit Zerstörung, Brandstiftung oder etwa mit bewaffnetem Widerstand gegen die Behörden einhergehen müsste. Die Festgenommen sollen Plastikflaschen, Becher oder Dosen nach Polizisten geworfen haben. Manche gaben anderen Demonstrierenden angeblich Handzeichen, dafür drohen ihnen bis zu acht Jahre Haft. Unter ihnen ist der Blogger Jegor Schukow, dessen Foto nun bei den Protesten hochgehalten wird.

Inzwischen versucht die sogenannte Systemopposition auf den Zug aufzuspringen. Zu ihren Aufgaben gehört es, die Stimmen von Protestwählern einzusammeln, sich aber der Politik des Kreml nicht in den Weg zu stellen. Die Kommunistische Partei forderte bei ihrer eigenen Samstagsdemo gerechte Wahlen, während im Publikum auch sowjetische Fahnen zu sehen waren. Auch die unabhängige Opposition will kommendes Wochenende wieder demonstrieren. Die Behörden haben das bisher nur in einem Stadtbezirk am Rande Moskaus genehmigt.

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Quelle:
SZ vom 21.08.2019
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