Süddeutsche Zeitung

Russland:Leicht entzündlich

Lesezeit: 2 min

In einer russischen Stadt verbrennen die Behörden Bücher. Es stört sie nicht so sehr der Inhalt, sondern der Mann, der sie stiftete: Moskau betrachtet den US-Milliardär George Soros mit Argwohn.

Von Julian Hans

"Weltanschauung" - so habe der Titel eines Buches gelautet, das sie im Dezember aus dem Regal räumte, erinnert sich die Bibliothekarin der Berufsschule für Bergbau in Workuta. Es habe "ein bisschen von Religion" gehandelt. Andere Werke, die zu dieser Zeit aus russischen Bibliotheken verschwanden, trugen gänzlich unverdächtige Namen: eine Geschichte der russischen Soziologie, ein Wirtschaftswörterbuch, ein Lehrbuch für Sozialarbeit, eines über den französischen Surrealismus. Und ein "Kurs in praktischer Logik für Geisteswissenschaftler". Die Autoren sind meist Russen.

Mehr als 450 Titel wurden aus Bibliotheken entfernt, bestätigte das Bildungsministerium der Republik Komi im russischen Nordwesten der Nachrichtenseite 7x7-journal.ru. Davon seien 53 gleich "mittels Verbrennung vernichtet" worden. Die Bücherverbrennung fand im Hof hinter der Berufsschule von Workuta statt.

Gemeinsam ist allen Werken, dass sie mit Unterstützung von George Soros in Russland herausgegeben wurden. Seit dem Ende der Sowjetunion fördert der amerikanische Finanzinvestor Wissenschaft und Zivilgesellschaft in den Staaten des ehemaligen Ostblocks. Der Traum des in Ungarn geborenen Sohns jüdischer Eltern: dass dort, wo kommunistische Diktaturen herrschten, offene Gesellschaften entstehen.

Insgesamt eine Milliarde Dollar soll er in den vergangenen drei Jahrzehnten für Projekte in Russland ausgegeben haben. Er finanzierte Austauschprogramme, er finanzierte wissenschaftliche Lehrbücher. Als der Staat in den Neunzigerjahren fast bankrott war, spendete er 100 Millionen Dollar für Stipendien von Schülern, Studenten und Wissenschaftlern.

Dass Soros' Open Society Foundation Menschenrechtsprojekte förderte, gefiel Moskau immer weniger, je stärker sich der Staat unter Wladimir Putin wieder zu einem autoritären Regime entwickelte. Dass die Jugendbewegungen, die Anfang des Jahrtausends zum Sturz von Slobodan Milošević in Belgrad, Eduard Schewardnadse in Tiflis und Viktor Janukowitsch in Kiew beitrugen, mit Soros-Mitteln in zivilem Widerstand trainiert worden waren, führte im Kreml zu der Überzeugung, dass Regimewechsel das eigentliche Ziel des Amerikaners seien - und Moskau als Nächstes an der Reihe. Seitdem wird jegliche Aktivität des Mäzens mit Argwohn betrachtet, selbst wenn sie lange zurückliegt. Viele der nun verbrannten Bücher standen seit Jahrzehnten in den Regalen. Im November erklärte Moskau die Soros-Stiftung zur "unerwünschten Organisation". Sie darf weder in Russland tätig sein, noch dürfen Russen mit ihr zusammenarbeiten. Wer es trotzdem tut, riskiert Haftstrafen von bis zu sechs Jahren.

Literatur, die mit Unterstützung der Soros-Stiftung herausgegeben wurde, forme "bei jungen Menschen ein verzerrtes Bild der vaterländischen Geschichte" und verbreite "Einstellungen, die der russischen Ideologie fremd sind", warnte Putins Bevollmächtigter für Russlands Nordwesten im Dezember. Doch die Bücherverbrennung hat nun offenbar selbst die Regierung erschreckt. Kulturminister Wladimir Medinskij, sonst Vorkämpfer gegen "Geschichtsfälschung", mahnte, das wecke "merkwürdige historische Assoziationen".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2818237
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 15.01.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.