Süddeutsche Zeitung

Russland-Experte Rahr:"Hinter Putins eiskalter Maske verbirgt sich ein Vulkan"

Lesezeit: 3 min

Der russische Präsident hat keine Angst vor dem US-Raketenschutzschild. Er fühlt sich aber vom Westen getäuscht. Daher poltert er gegen die USA und Europa, sagt sein Biograph.

Thorsten Denkler

Alexander Rahr ist Russland-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Autor zweier Biographien über Wladimir Putin und Michael Gorbatschow. Rahr ist zudem Mitglied im Lenkungsauschuss des von Kanzlerin Angela Merkel und Putin gepflegten Petersburger Dialogs.

sueddeutsche.de: Herr Rahr, der russische Präsident tritt derzeit auf, als sehne er einen neuen Kalten Krieg herbei. Er droht aus Abrüstungsverträgen auszusteigen, wirft der Opposition in seinem Land vor, mit dem Westen zu paktieren und trifft sich lieber mit Kickboxern, als zu den Demonstrationen gegen ihn Stellung zu nehmen. Was ist in den Mann gefahren?

Rahr: Putin ist viel emotionaler, als es den Anschein hat. Hinter seiner eiskalten Maske verbirgt sich ein Vulkan.

sueddeutsche.de: Was lässt ihn jetzt ausbrechen?

Rahr: Er fühlt sich vom Westen persönlich angegriffen.

sueddeutsche.de: Können Sie das erklären?

Rahr: Zu Beginn des Jahrtausends hat Putin versucht, in die Geschichte einzugehen als der Mann, der Russland mit Europa vereint. Es gab Ideen, der Nato und der Europäischen Union beizutreten. Im Jahr 2001 erklärte er in Berlin im Reichstag den Kalten Krieg für beendet. Davon ist nichts übriggeblieben. Putin will aber nicht als der Schuldige dastehen und sucht jetzt Schuldige. Er will nicht als Verlierer in die Geschichte eingehen.

sueddeutsche.de: Isoliert er sich nicht mit seiner harten Haltung gegenüber dem Westen?

Rahr: Nur aus westlicher Sicht. Jeder Konflikt, den Putin mit Europa oder den USA hat, stärkt seine strategische Partnerschaft mit China oder Indien. Hier ist Russland immer willkommener.

sueddeutsche.de: Waren wir nicht nett genug zu den Russen?

Rahr: Es ist in der Tat ein psychologisches Problem. Russland hatte immer das Ziel, sich in Europa zu integrieren. Aber Russland ist nicht Nato-Mitglied geworden und nicht Mitglied der Europäischen Union.

sueddeutsche.de: Ist der geplante US-Raketenschirm auch ein psychologisches Problem?

Rahr: Die Russen werden nicht ernsthaft Angst vor diesem Projekt haben. Aber sie fühlen sich isoliert. Da wird ein exklusiver Club geschaffen, in dem sie wieder einmal nicht erwünscht sind. Den Europäern geht es im Moment übrigens nicht anders.

sueddeutsche.de: US-Präsident Bush will jetzt mit Putin reden. Zu spät?

Rahr: Russland hat sich sehr verhärtet in dieser Sache, völlig undiplomatisch und kindisch. Aber Russland sollte jetzt die Hand der USA ergreifen. Im Grunde genommen geht es hier doch nur um Geld. Die richtige Einbindung Russlands wäre die kommerzielle gewesen. Hätten die USA Putin frühzeitig angeboten, auch russische Firmen am Aufbau des Raketenschildes zu beteiligen, es wäre nie zu dieser Auseinandersetzung gekommen.

sueddeutsche.de: In Russland mehren sich die Stimmen, die Putin zu einer dritten Amtszeit auffordern. Putin hat das abgelehnt. Aber will er nicht vielleicht doch?

Rahr: Putin hat in seiner Rede zur Lage der Nation klipp und klar gesagt, die nächste Rede werde ein anderer halten. Man sollte den Mann beim Wort nehmen.

sueddeutsche.de: Was kommt nach Putin?

Rahr: Es stehen zwei schwergewichtige Politiker in den Startlöchern. Zum einen Dimitri Medwedjew, der langjährige Staatschef des Präsidenten. Er ist bekannt für seine liberalen Ansichten. Auf der anderen Seite der Hardliner General Sergej Iwanow, ehemaliger Verteidigungsminister und jetzt stellvertretender Premierminister. Er hat auf die Frage, wie er Wahlkampf betreiben wolle, geantwortet, die Russen hätte keine Zeit für solche Spielchen. Wahlkampf sei eine Erfindung des Westens.

sueddeutsche.de: Werden die beiden trotz ihrer Unterschiedlichkeit nicht einfach nur Putins Marionetten sein?

Rahr: Das Amt des russischen Präsidenten erlaubt kein Marionettentheater. Wer auch immer es werden wird, er wird der starke Mann Russlands sein. Deshalb wird Putin seinen Nachfolger auch noch nicht benennen, weil er dann sofort zu einer lahmen Ente wird. Und deshalb tritt er auch im Moment mit einer Aggressivität auf, die vorher so bei ihm noch nicht aufgefallen ist.

sueddeutsche.de: Putin wirkt überhaupt nicht amtsmüde. Kaum vorstellbar, dass er einfach gehen wird.

Rahr: Er wird sich sicher die Chance offen halten im Jahr 2012 zurückzukehren. Er will die Verfassung nicht brechen oder ändern. Aber nach einer Auszeit von vier Jahren darf er sich wieder um das Amt bewerben.

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