Süddeutsche Zeitung

Russland:Das Rätsel von Njonoksa

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Zur Explosion auf einem Testgelände in Nordrussland gibt es weiter widersprüchliche Angaben - sicher ist nur, dass nukleare Strahlung ausgetreten ist.

Von Silke Bigalke, Moskau

Eine Woche nach dem Unfall auf einem Militärgelände in Nordrussland häufen sich die Spekulationen. "Wir wissen, dass es eine Explosion gab und dass diese mit Radioaktivität verbunden war. Das ist alles", sagte der russische Militärexperte Alexander Golz am Donnerstag. Bei der Explosion starben mindestens fünf Mitarbeiter der Atombehörde Rosatom. Sechs Tage später bestätigte der russische Wetterdienst, dass die radioaktive Strahlung zeitweise um bis zu ein 16-Faches höher war als normal. Zuvor hatten sich die Behörden in Widersprüche verstrickt.

Was für eine Waffe dort am Weißen Meer nahe des Dörfchens Njonoksa getestet wurde, ist immer noch unklar. Rosatom sprach von einer Rakete, deren Treibstoff beim Test auf einer schwimmenden Plattform im Meer in Brand geraten sei. Doch Raketentests setzen normalerweise keine Radioaktivität frei. Mit einer Ausnahme vielleicht: 2018 kündigte Präsident Wladimir Putin einen neuen Marschflugkörper an, der nuklear angetrieben werde. So könne dieser fast beliebig weit fliegen und jedes Raketenabwehrsystem überlisten.

Über diese Superwaffe ist bisher wenig bekannt. Die Russen tauften sie "Burewestnik", Sturmvogel, bei der Nato heißt sie Skyfall. Seit einer Woche werden nun Indizien dafür gesammelt, dass das Triebwerk für eben diesen mysteriösen Marschflugkörper bei Njonoksa getestet wurde. US-Wissenschaftler hatten auf Satellitenbildern beobachtet, dass Container für die Ausrüstung und andere Anlagen für diese Tests offenbar verlegt worden waren. Sie hatten ein Spezialschiff von Rosatom identifiziert, das atomaren Abfall bergen kann und am Tag der Explosion in der Nähe war. Zudem hatte US-Präsident Donald Trump über die "Skyfall-Explosion" getwittert und den Raketentyp offenbar identifiziert.

Donald Trump twitterte über eine "Skyfall-Explosion" - weiß er mehr über den Raketentyp?

Dabei wird darüber gestritten, ob lenkbare Marschflugkörper mit Nuklearantrieb überhaupt möglich sind. Solche atomaren Triebwerke bräuchten schwere Hüllen, damit keine Radioaktivität austritt, sie müssten ständig gekühlt werden, wären instabil und gefährlich. Würde man sie kleiner, leichter und dennoch sicher genug bauen, würden sie nicht genug Energie für eine Rakete erzeugen, die mit mehrfacher Überschallgeschwindigkeit durch die Atmosphäre donnert. Daher gibt es auch die Theorie, dass in Njonoksa kein Raketenantrieb, sondern Atombatterien für die Raumfahrt getestet wurden. In diese Richtung ging auch eine Erklärung von Rosatom, die die eigene Forschung mit dem Nasa-Projekt Kilopower verglich. Rosatomchef Alexej Lichatschow hielt das nicht davon ab, bei der Trauerfeier für die getöteten Wissenschaftler zu erklären, die Arbeit an den neuen Waffen werde zu Ende geführt. "Wir wissen nichts über diese Waffen", sagt Militärexperte Golz. "Doch wenn sie es schaffen, einen Reaktor mit einem Lenkflugkörper zu verbinden, ist das gefährlich."

Für die Bewohner der Region Archangelsk im Norden gibt es fast täglich neue, verunsichernde Meldungen. Etwa, dass die Ärzte, die den Verletzten des Unglücks geholfen hatten, danach selbst in einem Moskauer Krankenhaus untersucht worden seien. Dass eine Evakuierung des Dorfes Njonoksa für Mittwoch geplant und dann wieder verworfen wurde, mit der Begründung, weitere Tests seien abgesagt. Oder dass die Region Archangelsk nun 1200 Gasmasken kaufen möchte. Was aber angeblich schon vor dem Unglück geplant gewesen sei.

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SZ vom 16.08.2019
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