Süddeutsche Zeitung

Klimawandel:Religion ist öko - aber noch nicht lange

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Muslime sollen heute Wasser sparen, Christen und Juden Energie. Früher aber galten die Weltanschauungen als Ursache von Umweltkrisen.

Von Matthias Drobinski und Elisa Rheinheimer-Chabbi

Es war ein Paukenschlag, das Rundschreiben an alle Welt, das Papst Franziskus im Sommer veröffentlichte. Die Menschen beuten die Erde und andere Menschen aus, schrieb dort der Papst aus Argentinien. Sie veränderten mit ihrer Lebensweise vor allem in den reichen Ländern das Klima; sie lebten selbstmörderisch, wenn das so weitergehe. So deutlich hatte das noch nie ein Papst gesagt: Der Klimawandel ist menschengemacht. Und es ist nun die Aufgabe der Menschen, Gottes Schöpfung zu retten.

Konservative Christen in den USA reagierten empört: Jetzt glaubt auch schon der Papst die Klima-Lüge! Die meisten Vertreter von Kirchen und Religionsgemeinschaften aber fanden die Enzyklika "Laudato si", benannt nach dem Sonnengesang des Heiligen Franziskus, gut. Religion ist öko, das klingt heute selbstverständlich. Dabei ist das noch nicht lange so.

In den monotheistischen Religionen liegt die Wurzel der Umweltkrise, so eine These

1967 veröffentlichte der amerikanische Historiker Lynn White jr. einen fulminanten Essay, überschrieben: "The Historical Roots of Our Ecological Crisis". Seine These: Das Weltbild der monotheistischen Religionen ist die Wurzel der ökologischen Krise. Christentum, Judentum und Islam betrachteten den Menschen als die Krone der Schöpfung. Und diese Schöpfung müsse er beherrschen.

In der Antike habe noch das Bild vom ewigen Kreislauf das Geschichtsverständnis geprägt, die monotheistischen Religionen aber begriffen Geschichte als linearen, auf ein Ziel gerichteten Prozess. Das habe zu einem blinden Fortschrittsglauben geführt, der die Natur als Objekt der Ausbeutung begreife. White hatte einen wunden Punkt getroffen: Im Zentrum vor allem der christlich-jüdischen Anthropologie stand das Bild vom schöpferischen Menschen, der zum Wohle der Menschen auf den Mond fliegt und die Atomkraft beherrscht. Die Vorstellung, dass dieser Mensch eingebettet ist in einer Schöpfung, in der alle Kreaturen ihr eigenes Recht haben, galt als rückständig.

Als ethisch unbedenklich gilt nicht mehr der quantitative, sondern der qualitative Fortschritt

Whites Aufsatz gilt heute als die Geburtsstunde der modernen theologischen Diskussion über Glaube und Umwelt. Seit dem Bericht des Club of Rome von 1973 über die "Grenzen des Wachstums" wuchs die Zahl der Christen, die sich in den verschiedenen Umweltgruppen engagierten, und die veränderten in den Achtziger- und Neunzigerjahren die Kirchen insgesamt.

Heute ist es theologisches Allgemeingut, dass die Menschen die Erde bewahren und bebauen sollen, dass sie ein Teil der Schöpfung sind und verantwortlich für das, was sie mit ihr machen. Nicht mehr der quantitative Fortschritt gilt als ethisch unbedenklich sondern der qualitative, der zu mehr Gerechtigkeit, Frieden und Umweltschutz führt. In den christlichen Gemeinden gibt es heute Recycling-Papier und Solaranlagen auf dem Kirchendach; in Deutschland sollen Kirchentage selbstverständlich klimaneutral sein.

Im Judentum verlief die Entwicklung ähnlich wie im Christentum - auch wenn vor allem in Israel die Idee noch weit verbreitet ist, dass das Land sich in einer insgesamt feindlichen Umwelt bewähren muss. Jüngst aber haben 333 Rabbiner einen Brief zum Schutz des Klimas unterzeichnet; er ruft Gläubige wie Gemeinden auf, nicht weiter in Öl, Kohle und Gas zu investieren, sondern stattdessen lieber in Wind-, Wasser- und Sonnenenergie.

In Israel gibt es Seminare für öko-koscheres Essen und Baumpflanz-Aktionen von Gemeinden, außerdem Fair-Trade-Kippas. "Judentum und grünes Denken gehören zusammen", schreibt der Zentralrat der Juden in Deutschland. "Die Halacha, das jüdische Gesetz, hat ein reiches Wissen darüber, wie wir unsere Umwelt beeinflussen", sagt der israelische Theologe Jeremy Bernstein - bis dahin reicht das, dass schon der Talmud mahnt, die Öl-Lampe nicht länger brennen zu lassen als nötig.

Ein islamischer Aufruf zum Wassersparen

Und auch im Islam, dem insgesamt das geringste Umweltbewusstsein nachgesagt wird, gibt es einige Entwicklungen - sie gehen vor allem von den muslimischen Gemeinschaften in Europa aus. So gründeten in Großbritannien Muslime schon in den Achtzigerjahren die Islamic Foundation for Ecology and Environmental Sciences.

In Deutschland gibt es seit fünf Jahren die Gruppe Nour-Energy, die sich für mehr Umweltbewusstsein unter Muslimen einsetzt. Im August trafen sich in Istanbul muslimische Gelehrte aus aller Welt; sie veröffentlichten eine "Islamische Deklaration zum Klimawandel". Der Prophet Mohammed habe zum sparsamen Umgang mit Wasser aufgerufen, erklärte sie, und Gebiete rund um Medina zu Naturschutzzonen erklärt, in denen man keine Bäume fällen durfte. Der Islam sehe den Menschen als "Statthalter auf Erden"; der Koran mahne: "Richtet nicht Unheil auf der Erde an!"

Warum Umweltbewusstsein von Juden, Christen und Muslimen wichtig ist

Vom Glauben an die Herrschaft des Menschen über die Natur zur Schöpfungstheologie - innerhalb einer Generation hat sich die Haltung von Christen, Juden und auch Muslimen gegenüber der Umwelt radikal gewandelt.

Für den Kampf gegen die Erderwärmung ist das von großer Bedeutung: Christen, Juden und Muslime machen die Mehrheit der Weltbevölkerung aus, sie stellten die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Eliten in den meisten Teilen der Welt. Und sie können an das Gewissen der Menschen appellieren: Tut etwas, verzichtet auf einen Teil eures Konsums, lebt so, dass die Vorräte der Erde noch für eure Kinder reichen. Die Gläubigen müssen es sich dann nur noch zu Herzen nehmen.

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Quelle:
SZ vom 26.11.2015
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