Süddeutsche Zeitung

Religion:Ein Gerichtssaal ist kein Klassenzimmer

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Die Bundesverfassungsrichter bestätigen: Der Staat darf Rechtsreferendarinnen verbieten, ein Kopftuch zu tragen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Nimmt man den 13. Juli 1998 als Startpunkt - also den Tag, an dem Baden-Württemberg einer muslimischen Lehrerin wegen ihres Kopftuchs die Übernahme in den Schuldienst verweigerte -, befindet sich der juristische Streit um das religiöse Symbol auf dem Kopf von Frauen nun im Jahre 22. Mehr als zwei Dekaden, gepflastert mit Urteilen aus allen Winkeln und Etagen der Justiz. Insofern mag es überraschen, dass es immer noch ungeklärte Fragen gibt. Eine davon hat nun das Bundesverfassungsgericht beantwortet: Das hessische Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen ist mit der Religionsfreiheit vereinbar.

Geklagt hatte eine in Frankfurt geborene Deutsch-Marokkanerin, die im Januar 2017 den juristischen Vorbereitungsdienst angetreten hat. In Hessen gilt zwar kein allgemeines Kopftuchverbot für die Ausbildung. Aber angehende Juristinnen, die beispielsweise die Sitzungsvertretung der Staatsanwaltschaft im Gerichtssaal übernehmen und dort auch mit Robe auftreten, müssen das Tuch ablegen. Auch andere Länder haben das Tragen religiöser oder politischer Symbole im Gerichtssaal untersagt, etwa Baden-Württemberg, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Bayern.

Den Richtern geht es um die Aura der Neutralität, welche die Justiz mit ihren Formen ausstrahlen will

Mit seinem Beschluss setzt der Zweite Senat einen deutlich anderen Akzent als vor fünf Jahren der - in diesen Fragen meist liberalere - Erste Senat, der damals muslimischen Lehrerinnen das Kopftuch erlaubte und Verbote nur bei konkreten Gefahren für den Schulfrieden für zulässig erachtete. Zwar lässt das Gericht auch in seiner neuen Entscheidung keinen Zweifel daran, dass das Tragen eines Kopftuchs grundsätzlich zur Religionsfreiheit gehört, wenn eine Muslimin dies aus ihrer Sicht für verbindlich halte; darauf, dass es im Islam unterschiedliche Positionen zum Kopftuch gebe, komme es nicht an. Im Gerichtssaal gelten nach Ansicht des Zweiten Senats allerdings andere Regeln als im Klassenzimmer: Die Schule sei auf "Offenheit und Pluralität" angelegt, das Gericht hingegen auf "Distanz und Gleichmaß", was beispielsweise durch die Robe der Richter sichtbar gemacht werde.

Zum Problem wird das Kopftuch aus Karlsruher Sicht aber nicht etwa deshalb, weil seine Trägerin nicht mehr unabhängig wäre. Im Gegenteil: Das Gericht stellt ausdrücklich klar, dass es keinen Generalverdacht gegen Musliminnen gibt, die ein sichtbares religiöses Bekenntnis tragen. "Das Verwenden eines religiösen Symbols im richterlichen Dienst ist für sich genommen indes nicht geeignet, Zweifel an der Objektivität der betreffenden Richter zu begründen." Es geht den Verfassungsrichtern vielmehr um eine allgemeine Aura der Neutralität, welche die Justiz mit ihren Formen ausstrahlen will - und insbesondere auch mit ihrer Amtstracht, hinter der das Individuum sozusagen verschwindet. In diesem Kontext, so meint das Gericht, könne so ein unvermittelt auftauchendes Kopftuch irgendwie dem Staat zugerechnet werden. "Die Verpflichtung des Staates auf Neutralität kann keine andere sein als die Verpflichtung seiner Amtsträger auf Neutralität." In der Schule ist das aus Sicht der Richter anders, dort sei das Kopftuch der Lehrerin eben nur das Kopftuch der Lehrerin. Jedenfalls sei es den Bundesländern unbenommen, das allgemeine Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz auch durch einen solchen Kopftuchbann aufzubessern. Dazu könne die erkennbare Distanzierung der Richterinnen von individuellen Überzeugungen beitragen.

Der Beschluss ist nicht einstimmig ergangen - Ulrich Maidowski wendet sich entschieden gegen das Votum der Kollegen. Referendarinnen, die das Tragen eines Kopftuchs als verbindliches Gebot empfänden, könnten an zentralen Teilen der Ausbildung - die Bewährung in der Praxis - nicht teilnehmen. Dies sei ein spürbarer Verlust an Ausbildungsqualität. Das Argument, das religiöse Symbol beeinträchtige die staatliche Neutralität, hält Maidowski für überzogen. Denn eine Referendarin repräsentiere den Staat weitaus weniger als eine fertige Richterin. Daher würde es genügen, allen Beteiligten deutlich zu machen, dass hier nur eine Referendarin im Gerichtssaal stehe - zu Zwecken der Ausbildung.

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SZ vom 28.02.2020
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