Süddeutsche Zeitung

Extremismus:Die breite Spur des rechten Terrors

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In der Bundesrepublik herrschte lange die Vorstellung, Rechtsextremisten seien dumpfe Glatzköpfe, ohne Strategie und ohne Plan. Justus Bender und Martín Steinhagen beleuchten hingegen in ihren Büchern die "perfide Rationalität" und die Mordtaten der Szene.

Rezension von Tanjev Schultz

Trotz zahlreicher Morde und Anschläge, die Rechtsextremisten verübt hatten, herrschte in den Behörden der Bundesrepublik lange Zeit die Vorstellung, zu organisiertem Terrorismus wären Neonazis nicht in der Lage. Für eine "braune RAF" würden die Konzepte, die Köpfe und die Strukturen fehlen. Auch in der öffentlichen Wahrnehmung war das Bild dumpfer Glatzköpfe verbreitet, die im Suff zuschlagen, sonst aber wenig auf die Reihe bekommen. Es war ein Zerrbild.

"Solange Rechtsterroristen als irrationale Hassverbrecher gesehen werden, nimmt die Öffentlichkeit sie nicht als geeignete Adressaten von Wut und Empörung wahr", schreibt Justus Bender. Die Geistlosigkeit der Neonazis bedeute nicht, dass sie keinen Plan hätten. Schon seit Jahrzehnten kursieren in der militanten Szene Strategiepapiere und Terroranleitungen, einige stellt Bender in seinem Büchlein vor.

Als Journalist der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung recherchiert er schon länger zum Rechtsextremismus. Und auch er verfolgt nun einen Plan: Das Studium der Pamphlete, die einen "führerlosen Widerstand" und den Aufbau terroristischer Zellen propagieren, soll die gesellschaftlichen Abwehrkräfte stärken.

Denn wer den Plan der Rechtsterroristen kenne, habe ihn bereits durchkreuzt. Von der Erkenntnis, dass auch Neonazis "kalt und berechnend" vorgehen, verspricht sich Bender eine Art Befreiungsaktion für die kollektive Psyche. Werden die Täter in ihrer perfiden Rationalität ernst genommen, haben sie "unseren Zorn, unsere Ablehnung und unsere Ansprache" verdient. Wird die Wut jedoch aufgestaut, richte sie sich gegen Institutionen des Staates, denen man vorwerfe, das Morden nicht verhindert zu haben.

In den Fokus geraten der Staat und seine Behörden

Doch sind solche Vorwürfe nicht oft vernünftig und berechtigt? Wenn jemand die von Bender analysierten Strategiepapiere verkannt hat, so waren das zunächst einmal die Beamten in den Kriminal- und Verfassungsschutzämtern, die sich hauptberuflich damit befassen sollen. Ihre Rolle kritisch zu beleuchten, muss ja auch nicht unbedingt bedeuten, die Schuld der rechtsextremistischen Täter kleinzureden.

So elegant Benders Essay erscheint, inhaltlich blendet er zu vieles aus. Wer das weitsichtige "Eskalationsmodell" heranzieht, dass ein Team um den Soziologen Wilhelm Heitmeyer entwickelt hat, kann erkennen: Die von Bender behandelten Strategietexte entspringen einem Planungs- und Unterstützungsmilieu, das die Terroristen anregen und versorgen kann - aber diesen Gewaltkern umgeben weitere soziale Schichten, die ideologische Schützenhilfe leisten, ohne im juristischen Sinne schuldig zu werden.

Diesen Zusammenhang zum gesellschaftlichen Klima, das dazu beiträgt, dass sich Rechtsterroristen - ob die Neonazis des NSU oder der Mörder Walter Lübckes - zur Tat ermächtigt fühlen, ignoriert das Buch weitgehend. Deutlich besser arbeitet diesen Zusammenhang Martín Steinhagen in seiner Darstellung des Attentats auf Lübcke heraus.

Der freie Journalist schildert nicht nur die teilweise anrührende Geschichte des Opfers und die erschreckende Biografie des Mörders Stephan Ernst. Er referiert nicht nur die Erkenntnisse aus dem Gerichtsprozess, der im Frühjahr mit der Verurteilung von Ernst zu einer lebenslangen Haftstrafe endete. Ausgehend von diesem Fall zeigt das Buch die breite Spur rechter Gewalt, die sich durch die Bundesrepublik zieht.

Stark ist das Buch, wo das Zusammenspiel individuellen Handelns und gesellschaftlicher Stimmungen greifbar wird. Stephan Ernst verbrachte bereits seine Jugend im Hass. An dem Tag, als im November 1992 aus Mölln die Nachricht von drei Toten kam, die durch einen rassistisch motivierten Brandanschlag ums Leben kamen, schlug auch Ernst zu. In Wiesbaden stach er auf einer Bahnhofstoilette mit einem Messer einen Imam nieder. Eine Notoperation rettete dem Mann das Leben.

Vieles war zuletzt zwar schon in der Berichterstattung über den Mordprozess im Fall Lübcke zu lesen gewesen, Steinhagen sortiert die Erkenntnisse nun aber gut lesbar und verbindet sie mit hilfreichem Hintergrundwissen. Er hat umfassend recherchiert und so auch die noch jahrzehntelang unter Verschluss stehende Akte einsehen können, in der festgehalten ist, wie der hessische Verfassungsschutz nach dem NSU-Debakel seine eigene Arbeit bilanziert hat. Der Name von Stephan Ernst taucht mehrmals in diesem Bericht auf.

Bei Behörden herrscht "Chaos schon in der Ablage"

Das Zeugnis, das sich die Behörde selbst ausstellte, sei "vernichtend", so Steinhagen. Offenbar herrschte in der Behörde "Chaos schon in der Ablage". Material wurde nicht registriert, manches ist einfach verschwunden. Oft sei bei Quellen in der Neonazi-Szene weder nachgefragt noch versucht worden, Informationen zu verifizieren oder in einer Gesamtschau zu analysieren. Interessanten Hinweisen, so halte es der Bericht fest, wurde "sowohl in der Auswertung als auch in der Beschaffung nicht immer konsequent nachgegangen".

Ein ähnliches Bild hatte sich im Zuge der Aufarbeitung des NSU-Falls bereits in anderen Ämtern gezeigt. Wie Justus Bender zu Recht schreibt, ist eines der Ziele rechter Terroristen die "Entfremdung zwischen den Opfergruppen und den Sicherheitsbehörden".

Sein Rat, Hinterbliebene von Opfern müssten zuerst dieses Ziel verdammen, bevor sie eine womöglich berechtigte Kritik an Ermittlern oder Verfassungsschützern äußerten, wirkt jedoch angesichts des Versagens der Ämter, das Steinhagen herausarbeitet, etwas anmaßend. Es unterstellt den Menschen, sie seien zu einfältig, um mehrere Ebenen gleichzeitig in den Blick nehmen zu können: die brutalen Pläne und Taten der militanten Rechten, die unverantwortliche Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden und die rassistischen Diskurse, die bis in die Mitte der Gesellschaft reichen.

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SZ vom 26.04.2021
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