Süddeutsche Zeitung

Recht:Der Schutz der Nutzer vor den Nutzern

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Politiker wollen Facebook zwingen, Ermittlern zu helfen und Fake News zu stoppen. Fragt sich nur, mit welchen Mitteln.

Von Jannis Brühl

Bis Ende März wird auf Facebook erst einmal beleidigt wie gehabt. Dann wird die Organisation jugendschutz.net ihren Bericht für Justizminister Heiko Maas (SPD) vorstellen, der die Fragen klären soll: Wie reagieren Facebook und andere soziale Netzwerke auf Beschwerden über mutmaßlich illegale Beiträge wie Volksverhetzungen und Beleidigungen? Löschen sie binnen 24 Stunden wie versprochen? Im September wurden nur 46 Prozent der von normalen Nutzerkonten gemeldeten Beiträge gelöscht - und das nach einer Woche. Sofern sich diese Quote im neuen Bericht nicht klar erhöht, dürften aus der Koalition Gesetzesvorstöße kommen, um Facebook für mangelnde Kooperation zu bestrafen.

Forderungen gibt es schon jetzt. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann dachte laut über Geldstrafen von bis zu 500 000 Euro gegen Facebook nach - pro Verstoß. Nach der Weihnachtspause will er zusammen mit seinem CDU-Pendant Volker Kauder die Pläne präzisieren. Aus Sicht deutscher Behörden ist Facebook ein Geisterunternehmen, ohne Ansprechpartner, wenn es darum geht, Straftaten wie Volksverhetzung oder üble Nachrede zu verfolgen. Viele Gesuche von Ermittlern versanden, wenn sie etwa die Daten von Verdächtigen wollen, die über ihre Facebook-Konten straffällig geworden sein sollen. Bisher hilft Facebook vor allem bei Mord, Kindesentführung und Terror. Hingegen werde es bei weniger schweren - dafür häufigen - Taten schwierig, klagen Beamte. Abhilfe könnte eine "Rechtsschutzstelle" schaffen, wie Oppermann sie nennt. An sie könnten Lösch-Ersuchen ebenso wie Anfragen von Behörden nach Daten von Verdächtigen gestellt werden. Oppermann will Facebook verpflichten, so eine Stelle einzurichten, die 24 Stunden am Tag erreichbar ist.

Jeden Monat löscht das Netzwerk nach eigenen Angaben Zehntausende Hass-Postings

Umstritten ist, ob ein neues Gesetz nötig ist. Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin, glaubt, das Telemediengesetz (TMG) gebe diese Möglichkeit schon her. Es beziehe sich explizit auf die Weitergabe von Daten an Behörden. Die Frage sei eher, ob Facebook auch unter das TMG falle. Schließlich sitzt das Unternehmen formell in Irland. Umso wichtiger wäre eine Anlaufstelle in Deutschland. Nicht alle SPD-Politiker setzen auf Eskalation, auch wenn es vorübergehend so wirkte: Der Noch-Präsident des Europaparlamentes, Martin Schulz, wurde vor einigen Tagen von den Zeitungen der Funke-Gruppe zitiert, die Verbreitung von Fake News solle für Facebook "richtig teuer" werden. Was im Interview wie ein ausformulierter Plan wirkte, klingt heute aus Schulz' Büro zurückhaltender: Er wolle lediglich die Debatte weiterführen. Erst einmal sei freiwillige Selbstkontrolle durch Facebook wünschenswert. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte denselben Zeitungen dazu: "Wir werden genau prüfen, wie das umgesetzt wird." Eine Drohung? Falls ja, dann eine sehr dezente.

Facebook hat 2016 Fortschritte gemacht. Monatlich löscht das Netzwerk nach eigenen Angaben Zehntausende Hasskommentare. Allerdings hat die Öffentlichkeit praktisch keinen Einblick, wie und warum genau. Dazu kommen offensichtliche Verstöße der User gegen deutsches Recht: Am Donnerstag gab Facebook bekannt, dass es aus diesem Grund dreimal so viele Beiträge blockiert habe wie im Halbjahr zuvor, zum Beispiel wegen Holocaustleugnung. Anfragen von Strafverfolgern, zum Beispiel nach bürgerlichen Namen von Nutzern, beantwortet Facebook eigenen Angaben zufolge zu 47,5 Prozent - das wären 13 Prozentpunkte mehr als zwei Jahre zuvor. Maas war bisher dennoch nicht zufrieden, zu einem neuen Gesetz äußert auch er sich zurückhaltend.

Ein neues Gesetz dürfte der Regierung den Vorwurf einbringen, Zensur zu üben. Der Berliner Richter Buermeyer sagt: "Facebook darf nicht zum Meinungswächter werden." Selbst wenn keine Zensur stattfindet, wird die Debatte im Wahljahr 2017 eine politische Dimension haben. Donald Trumps Sieg hat gelehrt, dass Wahlen auf dem Netzwerk entschieden werden können. Politiker der deutschen Regierungsparteien behandeln den oft brutalen Diskurs im Netz wie ein technisches Problem, nach dem Motto: Wenn Facebook besser filtert, erledigt sich das schon. Am Ende müssen sie sich den Populisten aber ohnehin politisch stellen - vor allem auf Facebook.

Denn keine noch so hohe Strafe für das Unternehmen ändert etwas an einem Umstand: Im Vergleich zur AfD, die mit emotionalen, oft aggressiven Beiträgen viel mehr Menschen auf dem Netzwerk erreicht, wirken die Social-Media-Strategien von SPD und CDU kläglich.

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Quelle:
SZ vom 27.12.2016
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