Süddeutsche Zeitung

Reagans Tagebücher:"Morgen höre ich auf, Präsident zu sein"

Lesezeit: 3 min

George Washington tat es, Ronald Reagan tat es. Sie schrieben Tagebuch. Nun sind 784 Seiten aus dem Leben Reagans veröffentlicht.

Reymer Klüver

Zeitweise sind sie politisches Manifest, Chronik historischer Ereignisse oder auch nur eine Ansammlung privater Bekenntnisse, mitunter banaler oder komischer Beobachtungen. Und eine konstante Liebeserklärung sind sie auch. Ronald Reagans Tagebücher wurden an diesem Dienstag veröffentlicht.

Erste Auszüge waren schon vor ein paar Wochen nachzulesen, jetzt aber liegen die 784 Seiten umfassenden "Reagan Diaries" komplett in Amerikas Buchhandlungen vor. Reagan, so viel bestätigt die erste Lektüre, war gewiss kein intellektueller Präsident. Aber einer, der die Gefühle seiner Landsleute zu lesen verstand und selbst durchaus Gefühle zeigte.

Es gibt nicht viele US-Präsidenten, die Tagebuch geführt haben. George Washington tat es, aber nur wenige eiferten ihm nach - im 20. Jahrhundert niemand außer Reagan. Erfüllt von auffälligem Pflichtgefühl, ließ er nach Angaben des Herausgebers der Diaries, Douglas Brinkley, keinen Tag seiner Präsidentschaft vom 20. Januar 1981 bis 19. Januar 1989 aus - außer der Zeit im Krankenhaus nach dem Attentat im März 1981.

Fünf Bände hat er so gefüllt, die linienlosen Seiten eng mit blauer oder schwarzer Tinte beschrieben. Oft notierte er spät in der Nacht oder auf Flügen in Airforce One oder dem Präsidenten-Hubschrauber Marine One.

Es sind aufwühlende Jahre. Von der Freilassung der Botschaftsgeiseln in Teheran über das Attentat auf ihn ("Angeschossen zu werden tut weh", gibt Reagan lakonisch zu Protokoll), den Falkland-Krieg, die Grenada-Invasion und die Iran-Contra-Affäre, vom Anschlag auf die Marines in Beirut und dem Attentat von Lockerbie und vor allem vom Wettrüsten mit den Sowjets und der Krieg-der-Sterne-Raketenabwehr bis zum Beginn der Perestrojka und dem Ende des Kalten Kriegs.

"Ich glaube, der Weltuntergang ist nah"

"Keine Frage, dass die Sowjets eine militärische Überlegenheit im Weltraum entwickelt haben. Wir dürfen nicht abgehängt werden", schreibt er 1982. In dieser Zeit finden sich Einträge wie: "Ich glaube, der Weltuntergang ist nah."

Später schreibt er: "Ich habe das Gefühl, dass die Sowjets so verteidigungsbesessen sind, eine so paranoide Angst vor einem Angriff haben, dass wir ihnen sagen sollten, dass niemand hier eine solche Absicht hat - ohne dass wir dabei weich wirken." Und später notiert er über Gorby, wie er seinen sowjetischen Verhandlungspartner Michail Gorbatschow nennt: "Ich habe keinerlei Zweifel, dass zwischen uns die Chemie stimmt."

Immer wieder rührende Geschichten

Anfällig für rührende Geschichten ist Ronald Reagan. Einem Jungen, der auf dem Rasen vor dem Weißen Haus (damals, 1987, war das noch möglich) mit einem Block und einem Stift um ein Autogramm bettelt, gibt er seine Unterschrift. "Habe später herausgefunden, dass er erst vor kurzem seinen Vater verloren hat. Seine Mutter, haben sie mir erzählt, hat Tränen des Glücks vergossen."

Und bei einer Trauerfeier für gefallene Marines schreibt er über deren Angehörige: "Sie waren so wunderbar, manchmal umarmten mich einfach nur Witwen oder Mütter, lehnten ihren Kopf an meine Brust und weinten still."

Auch einen Sinn für die Komik selbst großer Momente hatte sich Reagan bewahrt. Am Tag, da er der Sowjetunion die Verschrottung aller Mittelstrecken-Raketen anbot, hatte ihm der Geheimdienst aus Angst vor einem Anschlag eine Schutzweste verordnet: "Schon lustig", hält er an diesem Abend im Tagebuch fest, "ich redete über Frieden, aber trug eine schusssichere Weste".

Als Gorbatschow auf Staatsbesuch in Washington war, notiert Reagan, dass er am Weißen Haus "in einer Limousine made in Russia ankam, die größer war als alles, was wir haben". Bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Los Angeles vertauschte er die Zeilen der Eröffnungsformel - offenbar bewusst. "Die Presse hat voller Freude Senilität bei mir ausgemacht und das Unvermögen, meine Sätze auswendig zu lernen", schreibt er danach.

Einträge über Staatsgeschäfte wechseln mit Notizen zu Familienangelegenheiten. Immer wieder hat der alte Reagan Ärger mit seinen Kindern. Sohn Ron beschwert sich telefonisch offenbar in nicht druckreifen Worten über den ihm auferlegten Begleitschutz. "Ich sagte ihm recht bestimmt, dass er so nicht mit mir reden sollte & er legte auf. Ende eines nicht wirklich vollkommenen Tages."

Familienstreit um Geld

Auch mit Sohn Michael endet ein Telefonat mit aufgeknalltem Hörer. Mit Tochter Patti gerät er immer wieder aneinander, sie pumpt den Präsidenten-Vater sogar um Geld an, als sie gerade keinen Job hat. Einmal notiert er nach einem Gespräch mit ihr sarkastisch: "Wahnsinn ist erblich. Man bekommt ihn von seinen Kindern."

Ständig warme Worte aber findet Reagan für seine Frau Nancy. "Warum habe ich immer so Angst, wenn sie einfach mal weg ist?", bemerkt er einmal. Oder an anderer Stelle: "Nancys Geburtstag! Das Leben wäre so ärmlich, wenn es nicht Nancys Geburtstag gäbe. Was wäre, wenn sie nie geboren wäre? Ich möchte gar nicht daran denken." Und an anderen Stellen fragt er, wer trauriger sei, wenn Nancy nicht im Weißen Haus sei: der Hund Rex oder er, der Präsident.

Das Tagebuch endet mit einem für Reagan so typischen lakonischen Eintrag: "Morgen höre ich auf, Präsident zu sein."

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SZ vom 24.05.2007
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