Süddeutsche Zeitung

Profil:Wael Abbas

Lesezeit: 2 min

Ägyptischer Aktivist und Chronist, plötzlich bei Twitter abgeschaltet.

Von Dunja Ramadan

Es ist ein verzweifelter Versuch, die Puzzleteile der jüngeren Geschichte Ägyptens wieder zusammenzuklauben. Doch wo soll Wael Abbas anfangen? Vor wenigen Tagen hat der Kurznachrichtendienst Twitter den Account des international bekannten Bloggers und Aktivisten gesperrt. Nun fehlen dem 43-jährigen Ägypter etwa 250 000 Tweets in seinem digitalen Geschichtsbuch. Auf seiner Facebookseite versucht er zwei Dutzend davon wieder zum Leben zu erwecken: Screenshots vom Beginn der Revolution 2011, oder Notizen aus dem Jahr 2013, als das ägyptische Militär Präsident Mohammed Mursi, einen Muslimbruder, absetzte. Doch etliche Puzzleteile fehlen.

Seit 2004 dokumentiert Wael Abbas auf seinem Blog "Das ägyptische Bewusstsein" die brutalen Auswüchse der Polizeigewalt, aber auch sexuelle Übergriffe auf Frauen sowie Fälle von Korruption. Foltervideos aus Polizeistationen werden ihm zugespielt, er veröffentlicht sie auf Facebook, Twitter, Youtube - und zwar unter seinem echten Namen. Oft waren es die Polizisten selbst, die die Misshandlungen filmten - sie schickten die Videos weiter, um die Familien des Opfers einzuschüchtern, aber auch, weil sie oft nichts zu befürchten hatten. Abbas veröffentlichte die Bilder der Offiziere und Polizisten und zwang damit die damalige Regierung von Husni Mubarak zu reagieren. Einige Beamte kamen ins Gefängnis.

Seine Arbeit brachte ihn mehrfach selbst hinter Gitter. Doch kaum war er wieder in Freiheit, machte Abbas weiter. International wurde er berühmt: Er erhielt Preise von der BBC, CNN, Forbes und Human Rights Watch. National schreckte er viele Ägypter aus ihrer Lethargie. Zwar wussten die meisten von der Polizeigewalt im Land, doch sie in Bild und Ton zu erleben, war etwas vollkommen anderes. Es war kein Zufall, dass die Revolution am 25. Januar 2011 begann, am Feiertag zu Ehren der ägyptischen Sicherheitskräfte.

Es ist nicht das erste Mal, dass Abbas Probleme mit sozialen Medien hat. 2007 sperrte die Videoplattform Youtube seinen Account wegen "unangemessenem Inhalt". Zwar wurde der Zugang wieder aktiviert, doch ein Großteil der Videos war gelöscht. Warum Twitter jetzt den Zugang sperrte, ist unklar. Viele Aktivisten stehen Abbas nun bei, darunter der Ägypter Sherif Azer, der zu Cyberaktivismus im Arabischen Frühling promoviert. Er spricht von "einem Live-Archiv der Geschehnisse während der Revolution" und bittet Twitter, den Account wiederherzustellen.

Abbas scheint die Hoffnung bereits aufgegeben zu haben. Er vergleicht Twitters Vorgehen mit der Bücherverbrennung Hitlers. "All diese Momente werden verloren gehen, wie Tränen im Regen. Twitter = Faschisten", schreibt Abbas auf seinem Blog. Autokratische Regime üben häufig Druck auf soziale Netzwerke aus. Oft werden sie zu einem wichtigen politischen Spielball: 2014 etwa ließ der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan Twitter insgesamt sperren.

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Quelle:
SZ vom 20.12.2017
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