Süddeutsche Zeitung

Profil:Sophie Wilmès

Lesezeit: 2 min

Belgiens designierte erste Premierministerin.

Von Karoline Meta Beisel

Politiker, die Premierminister werden, halten fast immer eine Siegesrede. Kein Wunder: Hinter ihnen liegt ein langer Wahlkampf, vor ihnen eine Amtszeit voll großer Pläne. Die Rede, die Sophie Wilmès am Dienstag im belgischen Parlament vor nahezu leeren Rängen hielt, klang so: "Ich bin mir der Umstände bewusst, die mich hierhergebracht haben. Aber ich bin entschlossener als je zuvor." An diesem Donnerstag werden die Abgeordneten, die die Rede per Livestream verfolgten, die 45-Jährige aller Voraussicht nach zu ihrer Premierministerin wählen, als erste Frau in der 190-jährigen Geschichte des Landes. So gelingt dem Coronavirus, was zuvor fast anderthalb Jahre lang niemandem gelungen war: Es beschert dem chronisch unregierbaren Belgien doch noch eine neue Regierung.

Die Liberale aus Brüssel ist geschäftsführend bereits seit dem vergangenen Herbst im Amt, damals wurde ihr Vorgänger Charles Michel zum Präsidenten des Europäischen Rats gewählt. Ohne vollwertige Regierung ist das Land aber schon viel länger: Die letzte Koalition war im Dezember 2018 an einem Streit über den UN-Migrationspakt zerbrochen. Jetzt aber, im Angesicht der Pandemie, zählen Streitigkeiten über Flüchtlinge, die Klimapolitik oder das Maß der Souveränität der belgischen Regionen offenbar nicht mehr viel. "Ich habe nur eine einzige Aufgabe: die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen", sagte Wilmès am Dienstag.

Dass der liberalen Politikerin das Amt nun also auch offiziell anvertraut wird, dürfte damit zu tun haben, dass Belgien früher als andere drastische Maßnahmen ankündigte, um die weitere Verbreitung des Virus zu verlangsamen. Geschäfte und Restaurants sind in dem Land bereits seit vergangenem Samstag geschlossen; seit diesem Mittwoch gilt zusätzlich eine nationale Ausgangssperre (zu sportlicher Betätigung draußen wird aber ermutigt, solange man dabei allein oder zu zweit ist).

Auch wenn manch einer mosert, die Maßnahmen seien zu drastisch: Allein die Tatsache, dass es Wilmès gelang, die politisch völlig unterschiedlichen Regionen Belgiens - das nationalistisch geprägte Flandern und die französischsprachigen Sozialdemokraten in der Wallonie - zu gemeinsamen Maßnahmen zu überreden, brachte der früheren Wirtschaftsberaterin viel Respekt ein. Nationale Einheit ließe sich zwar nicht einfach so an einem Sonntagabend verordnen. "Aber dieser Herausforderung müssen wir als Land gemeinsam begegnen", sagt Wilmès. Und wann, wenn nicht in schwierigen Zeiten wie diesen, könne man zusammenwachsen? Mit Stimmen aus der Opposition soll ihre bisherige Minderheitsregierung nun in eine echte Regierung umgewandelt werden.

Geholfen haben dürfte auch, dass Wilmès beide Landesteile gut kennt: Geboren wurde sie als Tochter des früheren Chefs der belgischen Zentralbank im französischsprachigen Brüsseler Stadtteil Ixelles; später lebte sie in Flämisch-Brabant, wo sie sich viele Jahre im Gemeinderat engagierte - wohlgemerkt als Vertreterin der französischsprachigen Bewohner. Später arbeitete sie in der Budgetkontrollabteilung der Europäischen Kommission, 2015 wurde sie Finanzministerin im Kabinett von Charles Michel.

Aber auch, wenn sie die nötigen Stimmen am Donnerstag zusammenbekommen dürfte: Leicht wird es für die Mutter von vier Kindern trotzdem nicht werden. Ausgerechnet die stärkste Partei in Flandern, die der flämischen Nationalisten, versagt ihr die Unterstützung. Spätestens in sechs Monaten wolle sie darum im Parlament die Vertrauensfrage stellen, kündigt Wilmès an - auch das ist ein Novum in der Geschichte des Landes.

Wilmès sagt, sie habe in ihrem Leben nie irgendetwas geplant. Womöglich ist genau das die Qualifikation, die es braucht, um Belgien in den kommenden Monaten durch die Corona-Krise zu bringen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4849535
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.03.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.