Süddeutsche Zeitung

Profil:Kristinn Hrafnsson

Lesezeit: 2 min

Einst Investigativ-Reporter, jetzt Wikileaks-Chef und letzter Getreuer Assanges.

Von Kai Strittmatter

"Steuert dieser Isländer den Cyberkrieg?", fragte Bild schon 2010 leicht gruselnd über einem Bild von Kristinn Hrafnsson, dem, so das Blatt, "Wikileaks-Sprecher mit dem scheinbar unaussprechlichen Nachnamen". Da war Wikileaks-Gründer Julian Assange kurz zuvor das erste Mal festgenommen worden - und die Welt stellte erstaunt fest, dass Wikileaks auch ohne den Chef und Lautsprecher Assange weiter geheime Dokumente veröffentlichte. So richtig klappte der Versuch allerdings nie, den unaufdringlichen Kristinn Hrafnsson zum Ersatz-Assange aufzublasen, auch dann nicht, als er letztes Jahr schließlich von Assange die Rolle des Wikileaks-Chefredakteurs übernahm.

Wenn der Isländer meist im Hintergrund blieb, dann deshalb, weil er einen großen Kontrast abgibt zu Assange. Kurz nach seinem Antritt als Sprecher 2010 schon sagte Hrafnsson, die Plattform werde in Zukunft "mehr die Leaks betonen als Wikileaks und mehr die Organisation als ihren Gründer". Selbst im Nachrichtensturm der vergangenen Tage erschien der 56-jährige Hrafnsson in Interviews stets ruhig und bedächtig, auch wenn er von einem "dunklen Tag" für Pressefreiheit und Journalismus sprach. Einem Tag, der "Journalisten überall auf dem Erdball vereinen" müsse: "Wenn du einen Publizisten in die USA ausliefern kannst, weil er die Wahrheit veröffentlicht hat, dann ist kein Journalist nirgends mehr sicher", sagte er dem Sender Al Jazeera.

Auch das unterscheidet Kristinn Hrafnsson von Julian Assange: Hrafnsson war Journalist, nicht Aktivist, bevor er für Wikileaks zu arbeiten begann. Und zwar einer der bekanntesten Islands. Drei Mal wurde er in seinem Heimatland für seine investigativen Recherchen zum Journalisten des Jahres gekürt. Ebenso oft wurde er gefeuert. Etwa vom Privatsender Stöð 2, als er während der Finanzkrise 2009 krumme Geschäfte der isländischen Kaupthing-Bank untersuchte. Ein Jahr später entließ ihn sein nächster Arbeitgeber, der öffentlich-rechtliche Sender RUV, dort soll er sich mit einem Vorgesetzten überworfen haben. Mit Wikileaks kam er in Kontakt während seines Jahres bei RUV - die Webseite hatte die Kreditbücher der Kaupthing-Bank veröffentlicht, und es kam heraus, dass die Bank Kredite in Milliardenhöhe an ihre eigenen Manager vergeben hatte. "Es war ein unglaublicher Schock", sagte Hrafnsson damals: "Und es zeigte, wie wichtig es war, eine Plattform wie Wikileaks zu haben."

Hrafnsson wurde damals Berater für die Icelandic Modern Media Initiative, eine Bewegung, die Island mit neuen Gesetzen zum sicheren Hafen für Vorkämpfer der Meinungsfreiheit machen wollte. Gleichzeitig begann er seine Arbeit für Wikileaks: Im April 2010 reiste er nach Bagdad, um dort die Kinder und Angehörigen der zivilen Opfer jenes brutalen Angriffs mit Apache-Kampfhubschraubern zu interviewen, mit dessen Enthüllung Wikileaks großes Aufsehen erregen sollte. Unter dem Titel "Collatoral Murder" wurde das Video veröffentlicht und entfachte eine Debatte über mögliche Kriegsverbrechen der USA im Irak. Befragt, warum er den Schritt vom Journalismus hin zu Wikileaks getan habe, sagte Hrafnsson 2010, die traditionellen Medien würden ihrer Aufgabe immer weniger gerecht, der investigative Journalismus sei "zu einer bedrohten Art geworden".

Hrafnsson nahm vor zwei Jahren eine kurze Auszeit von Wikileaks, aber er trat nie mit Kritik an Julian Assange an die Öffentlichkeit. Das macht ihn fast schon zur Ausnahme unter den Weggefährten des Wikileaks-Gründers, von denen viele mit Assange brachen und ihm Intransparenz, Narzissmus und autoritäres Gehabe vorwarfen. Kristinn Hrafnsson blieb an der Seite von Assange, verteidigte ihn mehrfach auch gegen die Vorwürfe sexueller Vergehen aus Schweden. In den Bildern der letzten Tage sieht er das "Finale einer Saga", zum Auslieferungsersuchen durch die USA sagt er: "Das muss gestoppt werden."

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Quelle:
SZ vom 15.04.2019
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