Süddeutsche Zeitung

Profil:Jeanine Meerapfel

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Filmemacherin und neue Präsidentin der Akademie der Künste in Berlin.

Von Fritz Göttler

"Wenn es Hitler nicht gegeben hätte, wäre ich ein deutsch-jüdisches Kind geworden, mehr deutsch als jüdisch, geboren in einem kleinen süddeutschen Dorf . . ." Jeanine Meerapfel steht auf einem kleinen bayerischen Friedhof und macht sich Gedanken über ihre Vergangenheit und die des Landes, in dem sie lebt. Es ist der Beginn ihres Films "Im Land meiner Eltern" aus dem Jahr 1981, in dem Menschen von ihrem Leben in Deutschland erzählen und oft das Wort Angst dabei fällt.

Die Filme von Jeanine Meerapfel sind durchweg autobiografisch, auf eine fantasievolle, spielerische, dem argentinischen Tango verwandten Weise; die Filme erzählen von Aufbruch und Exil, Rückkehr und Entfremdung, von der Zerrissenheit zwischen zwei Ländern, zwei Kulturen, zwei Generationen, die plötzlich nicht mehr zusammengebracht werden können. Jeanine Meerapfel wurde am 14. Juni 1943 in Buenos Aires geboren, in den Sechzigern arbeitete sie als Journalistin und Redakteurin. 1964 ging sie nach Deutschland und studierte - als eine der ersten Frauen - bei Alexander Kluge und Edgar Reitz in Ulm, schrieb Drehbücher und machte Kurzfilme. Später hat sie dann selbst regelmäßig gelehrt, an Hochschulen und fürs Goethe-Institut. Nun wird sie, als Nachfolgerin von Klaus Staeck, Präsidentin der Akademie der Künste in Berlin.

Jene Jeanine Meerapfel, die 1980 ihren ersten Spielfilm "Malou" vorstellte, hatte etwas ungemein Zartes und Apartes - und das hat sie sich bis heute bewahrt. "Malou" ist ein Tochter-Mutter-Film, zögernd und tastend. Die Tochter in Berlin will das Leben der Mutter Malou in Buenos Aires erkunden, die ein trostloses Emigrantenleben hinter sich hat: Nachtclub, Ehe, Scheidung, Alkohol. Ingrid Caven spielt Malou, die Kamera machte Michael Ballhaus, beide haben oft mit Fassbinder gearbeitet.

Jeanine Meerapfels Filme zeigen Frauen, die ihren Platz in der Gesellschaft suchen. Malou, die "Kümmeltürkin" Melek, Liv Ullmann, deren Sohn in "La Amiga" verschwunden ist und die mit den Müttern der Plaza del Mayo in Buenos Aires demonstriert. Mit verschiedenen faschistischen Systemen werden die Menschen in diesen Filmen konfrontiert, dem der Nazis und dem argentinischen der Siebzigerjahre. Im bislang letzten Film "Der deutsche Freund" werden beide Systeme zusammen gebracht. Ein Junge und ein jüdisches Mädchen sind Jugendfreunde in Buenos Aires, verlieben sich, sie wohnen in der gleichen Straße. Dann erfährt er, dass sein Vater ein SS-Obersturmbannführer war, und um mit dieser Herkunft fertigzuwerden, geht er nach Deutschland, wird zum Revolutionär. Das Selbstzerstörerische der Revolution, sagt Meerapfel, "das habe ich in dieser Stärke erst in Deutschland erlebt, gespürt und kennengelernt. Und gerade darüber wollte ich erzählen." Darin sieht sie auch ihre Aufgabe nun als Akademiepräsidentin - immer wieder die Vergangenheit zu befragen. Es sind Fragen, ohne die es keine Zukunft geben kann.

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Quelle:
SZ vom 01.06.2015
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