Süddeutsche Zeitung

Profil:Ibi Ibrahim

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Dem Krieg im Jemen setzt er die Kunst entgegen.

Von Dunja Ramadan

Wenn seine Nachbarn in Sanaa wüssten, dass Ibi Ibrahim den amerikanischen Pass hat - und sich dennoch jeden Tag dafür entscheidet, in Jemen zu leben, würden sie ihn wohl für verrückt erklären. Aber Ibrahim ist nicht verrückt. Vielleicht ein wenig, verrückt nach seiner Heimat. Jenem Land, das Menschen im Westen seit Jahren mit hungernden Kindern und einem blutigen Stellvertreterkrieg assoziieren. Das aber für Ibi Ibrahim vor allem eins ist: Inspiration.

Der 32-Jährige, in den USA geboren, aber in Jemen aufgewachsen, arbeitet seit über zehn Jahren als visueller Erzähler und gründete im vergangenen Sommer die Romooz Foundation, eine unabhängige Organisation, die jemenitische Kunst und Kultur fördert - gerade in Zeiten des Krieges, wenn plötzlich kein Platz mehr ist für das Schöne.

Ibi Ibrahim war beruflich in Berlin, als im März 2015 ein von Saudi-Arabien angeführtes Militärbündnis eine Offensive gegen die schiitische Huthi-Miliz in Jemen ankündigte. Riad begründete die Operation damit, die Regierung stabilisieren zu wollen. Seitdem herrscht ein blutiger Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Saudi-Arabien um die Vormachtstellung in der Region. Die Vereinten Nationen sprechen von der größten humanitären Katastrophe des 21. Jahrhunderts. Jeder dritte der knapp 30 Millionen Jemeniten ist unterernährt, mehr als zwei Drittel der Bevölkerung haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, 10 000 Menschen starben seit Ausbruch des Krieges.

Ibrahim weiß, wie man trotz all dieses Leids den Jemenkrieg im Ausland nennt: "den vergessenen Krieg", sagt er am Telefon. Und er glaubt zu wissen, warum das so ist. Bereits vor der Eskalation war Jemen eines der ärmsten Länder der Welt. Die Länder der Koalition hingegen gehören zu den reichsten Ländern, sie könnten ihre Version des Konflikts eher an die Öffentlichkeit bringen als die Jemeniten. So gelange das Schicksal der Bevölkerung kaum ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit. Hinzu komme: Der Krieg in Syrien habe Europa wegen der Fluchtbewegungen unmittelbar betroffen, das Leid in Jemen dagegen sei in Europa kaum spürbar. Umso wichtiger sei es nun, dass auch die Jemeniten gehört werden. Erst vor wenigen Wochen lud Ibrahim junge Autoren nach Sanaa zu einem kreativen Schreibworkshop ein. Gefördert werden die Projekte mal von libanesischen, mal von deutschen oder niederländischen Stiftungen. Es dauerte, bis die Huthi-Miliz die Genehmigung erteilte - aber es klappte. Junge Frauen und Männer nahmen mehrstündige Busfahrten in Kauf, teils durch umkämpfte Gebiete.

Ibrahim hält nichts von den prunkvollen Kunstausstellungen, oft organisiert von Botschaften, zu denen nur ausgewählte Gäste eingeladen werden. "Kunst darf kein Luxus sein. Ein Künstler ist der Spiegel der Gesellschaft", sagt Ibrahim und erzählt von einem 20-jährigen Abiturienten, der anfangs so schüchtern war, dass er kaum ein Wort sagte. Als Ibi Ibrahim ihn fragte, warum er schreibe, antwortete er: "Ich muss schreiben. Über die Schönheit der Frauen." Er sprach voller Ehrfurcht - und faszinierte damit alle im Raum. Und als er begann zu schreiben, da war seine Sprache kraftvoll. "Als wäre er der nächste Nagib Mahfuz", sagt Ibi Ibrahim. In Momenten wie diesen spüre er pure Erfüllung - und die Pflicht, dafür zu sorgen, dass dieser junge Mann sein Talent auslebt. Trotz des Kriegs.

Bereut hat Ibi Ibrahim seine Rückkehr in die Heimat nie. Er habe gelernt, mit der Angst zu leben. Da war dieser Moment in einem Café in Sanaa, kurz nach Berlin. Er hörte Luftangriffe, acht hintereinander, ganz nah. Er geriet in Panik. Dann sah er eine Mutter, die mit ihren Kindern auf der Straße spielte. Er kam sich lächerlich vor. "Es ist ein Wunder, wie schnell sich Menschen an Krieg gewöhnen können", sagt Ibrahim. "Vielleicht ist es ihr unbedingter Wille zu überleben - oder auch nur die Erkenntnis, dass sie keine andere Wahl haben."

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Quelle:
SZ vom 01.08.2019
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