Süddeutsche Zeitung

Profil:Félicien Kabuga

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Hauptverdächtiger im Ruanda- Genozid - nun gefasst.

Von Bernd Dörries

"Hier ist Radio Libre Mille Collines. Die Gräben sind erst zur Hälfte mit Tutsi-Leichen gefüllt, helft mit, sie aufzufüllen." So rief es der Moderator der Radiostation in Ruanda im Frühjahr 1994 ins Mikrofon - und die Hörer taten, was er verlangte. In nur 100 Tagen ermordeten Angehörige der Hutu-Mehrheit des Landes zwischen 800 000 und eine Million Tutsi und gemäßigte Hutu. Viele wurden einfach mit Macheten zerhackt.

Was für viele in Europa aussah wie ein außer Kontrolle geratener ethnischer Konflikt in Afrika, war in Wahrheit lange vorbereitet. Félicien Kabuga war einer der Architekten des Genozids, ohne sein Vermögen wäre der Völkermord nicht möglich gewesen, glauben Historiker. Er leitete das Freie Radio der Tausend Hügel, das gegen die Tutsi hetzte, importierte Hunderttausende Macheten aus China und verteilte sie an die Schlächter. Ein Vierteljahrhundert suchten die Ankläger des Internationalen Tribunals nach dem heute 84-Jährigen, am Samstagmorgen wurde er in einer Mietwohnung am Rande von Paris festgenommen. Ausgerechnet in Frankreich, dem Ruandas Präsident Paul Kagame schon länger vorwarf, mitverantwortlich am Völkermord zu sein und dessen Täter zu verstecken.

Kabuga war einer der meistgesuchten Verbrecher der Welt, die USA hatten eine Belohnung von fünf Millionen Dollar ausgesetzt. Zum Verhängnis wurde ihm nach Angaben der französischen Justiz nun offenbar die Kommunikation mit seinen Kindern. Für die internationale Strafjustiz ist es der größte Erfolg seit der Verhaftung des serbischen Generals Ratko Mladic. "Es ist eine Mahnung, dass jene, die für Völkermord verantwortlich sind, auch 26 Jahre nach den Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden können", sagte Chefankläger Serge Brammertz. Kabuga soll bald an das Tribunal in Tansania überstellt werden, wo ihm der Prozess gemacht wird. Hinterbliebene der Opfer des Völkermordes sprachen von einem großen Tag für die Gerechtigkeit, wollen aber auch erfahren, wie es Kabuga gelungen ist, sich so lange zu verstecken. Während seiner Flucht soll er sich im damaligen Zaire aufgehalten haben, in Kenia, Deutschland, der Schweiz und in Belgien.

Im Jahr 2007 soll ihn die Polizei in Frankfurt entweder verpasst oder nicht erkannt haben, als sie seinen Schwiegersohn verhaftete, der als Minister ebenfalls am Völkermord beteiligt war. Die Jahre davor verbrachte Kabuga wohl in Kenia, wo ihm Immobilien, Farmen und Hotels gehörten, dazu Busunternehmen und ein Shoppingcenter.

Offiziell dementierte die kenianische Regierung, irgendetwas über den Aufenthaltsort Kabugas zu wissen. Ein Journalist, der ihm 2003 eine Falle stellen wollte, wurde später tot aufgefunden. Der damalige US-Präsident Barack Obama kritisierte die kenianische Regierung öffentlich, einem Kriegsverbrecher Unterschlupf zu geben. Das beeindruckte die korrupte Elite in Nairobi aber wenig, solange Kabuga für seinen Schutz großzügig bezahlte.

Er war vor dem Völkermord der reichste Mann Ruandas, verdiente sein Geld mit Teeplantagen und Logistik und war ein enger Getreuer von Juvenal Habyarimana, dem Präsidenten des Landes. Als dessen Flugzeug am 6. April von einer Rakete abgeschossen wurde, war dies der Startschuss zu dem, was die Hutu-Extremisten bereits geplant hatten: die Ausrottung der Tutsi. Kabuga finanzierte den Radiosender, der Hass säte und zu Morden aufrief. Er importierte Waffen und half beim Aufbau der Interahamwe-Miliz, einer Truppe von 30 000 jungen Extremisten, die maßgeblich am Völkermord beteiligt war. Kabuga soll Uniformen besorgt und die Truppe mit den Fahrzeugen seines Unternehmens zu den Einsätzen gefahren haben.

Ermittler des Internationalen Strafgerichtshofes erhoffen sich vom Prozess auch Erkenntnisse, wie detailliert und ab wann genau der Genozid an den Tutsi geplant wurde.

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SZ vom 18.05.2020
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