Süddeutsche Zeitung

Profil:Chris Dercon

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Seine Intendanz an der Berliner Volksbühne war ein Wagnis. Nun ist er gescheitert.

Von Jörg Häntzschel

Das Konzept sei "nicht aufgegangen", die Volksbühne brauche "umgehend einen Neuanfang", darin seien beide Parteien übereingekommen. So lautet die Begründung für das sofortige Ende von Chris Dercons Intendanz an der Berliner Volksbühne. Es sind kühle Sätze, die nicht einmal annähernd die Verheerung beschreiben, die das nach nur sieben Monaten gescheiterte Experiment angerichtet hat.

Die Volksbühne, eines der bedeutendsten deutschen Theater, steht ohne Leitung da. Die alte ist weg, die neue kam nie wirklich an, zurück bleibt eine Ruine. Blamiert bis auf die Knochen ist auch die Berliner Kulturpolitik: Erst hat der damalige Kulturstaatssekretär Tim Renner Dercon geholt, ohne sich der Tragweite dieser Entscheidung bewusst zu sein und ohne Dercon vor der erwartbaren Kritik zu schützen. Dann tat sein Nachfolger Klaus Lederer alles, um dessen Arbeit zu unterminieren.

Doch niemand geht so beschädigt aus diesem Abenteuer hervor wie Dercon selbst. Dass aus dem Kurator über Nacht ein begnadeter Theatermacher werden würde, hatte niemand erwartet. Doch dass der aus Belgien stammende 59-Jährige mit seiner Arbeit vieles von dem bestätigte, was seine Kritiker an bornierten Vorurteilen und Ressentiments über ihm ausgekippt hatten, das bestürzt dennoch.

Erstaunlich ist vor allem, dass Dercon seine größten Talente diesmal völlig im Stich ließen. Zum einen ist das seine Lust daran, aus der Reibung zwischen einzelnen Kunstformen Funken, Wärme und Begeisterung zu erzeugen. Vor allem in seiner Zeit als Direktor des Münchner Hauses der Kunst, von 2003 bis 2011, war ihm das meisterhaft gelungen. Außer Kunst zeigte er auch Architektur und Mode, veranstaltete Konzerte und Performances.

Genau diese breite Kompetenz, so verteidigten ihn seine Unterstützer immer, würde es ihm auch erlauben, von der Kunst zum Theater zu wechseln. Doch als er an der Volksbühne versuchte, die Konventionen des deutschen Sprechtheaters mit ähnlichem Crossover zu überwinden, mit Film, Kunst, Tanz und Diskurs, funkte meistens gar nichts. Statt neu wirkte sein Theater sehr oft sehr alt, was nicht zuletzt daran lag, dass er sich auf Veteranen verließ: auf Leute wie Alexander Kluge, die Tanz-Ikone Anne Teresa De Keersmaeker oder den Fotografen Michael Schmidt. Statt Eigenes zu entwickeln, setzte Dercon großteils auf Gastspiele. Und zur Galionsfigur seines Theaters hatte er den alten Samuel Beckett erkoren - ohne diesen persönlichen Spleen nachvollziehbar machen zu können.

Dercons anderes großes Talent ist seine Offenheit, sein diplomatisches Geschick. Als er nach Berlin kam, war er entsetzt über den feindseligen Empfang. Doch statt Publikum, Presse und Kritiker zu gewinnen, vertröstete er sie mit großspurigen Ankündigungen und lästerte über die Provinzialität der Stadt.

Diese Unbeholfenheit ist umso schwerer zu erklären, als Dercon den Job ja wirklich wollte. Die Rolle des Museumsdirektors kannte er zur Genüge. 1990 wurde er Direktor des Museums Witte de With in Rotterdam. Es folgte, ebenfalls in Rotterdam, das Museum Boijmans Van Beuningen. 2003 ging er nach München und von dort 2011 weiter an die Tate Modern nach London. Viel höher geht es nicht. Er suchte nach Neuem. Die Volksbühne war für ihn nicht die nächste Stufe auf der Karriereleiter, sie war ein persönliches Wagnis. Doch statt alles zu geben, wirkte er gehemmt, ratlos.

Dercon wurde als Kunstfuzzi, als "Neoliberaler" geschmäht, man warf ihm vor, keine Ahnung vom Theater zu haben und keine Sensibilität für die Geschichte der Volksbühne. Er hatte es schwerer als jeder andere Intendant in Deutschland. Das Risiko war größer; sein Erfolg wäre es auch gewesen. Blickt man auf sein Scheitern und Matthias Lilienthals Abgang in München, muss man festhalten: Experimente werden es im deutschen Theater künftig schwerer haben.

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Quelle:
SZ vom 14.04.2018
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