Süddeutsche Zeitung

Profil:Carsten Spohr

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Erfolgsverwöhnter Lufthanseat in Bittsteller-Rolle.

Von Jens Flottau

Die Rolle des Staates in der Wirtschaft - das ist ein Thema, das Carsten Spohr seit Langem beschäftigt. Immer wieder hat er in seinen frühen Jahren als Chef der Lufthansa, also seit 2014, beklagt, dass sein Unternehmen gegen die staatlich subventionierten Konkurrenten vom Persischen Golf anfliegen müsse. Daher dürfe man diesen Airlines, bei denen Geld keine Rolle spiele, in Deutschland keinen freien Marktzugang gewähren. Spohr und seine Lobbyisten in Berlin haben dazu beigetragen, dass das vorerst so bleibt.

Und nun also steht Lufthansa selbst kurz davor, neun Milliarden Euro an Staatshilfen zu kassieren, wenn auch in einer Notlage. Ohne das Geld wäre Lufthansa in zwei oder drei Monaten schlicht pleite. Es ist also nicht so, dass der 53-jährige Spohr einen besonders großen Verhandlungsspielraum hat, wenn er ein Insolvenzverfahren vermeiden will. Dennoch rief er vor einigen Tagen den Aktionären bei der Hauptversammlung zu: "Jetzt brauchen wir staatliche Unterstützung. Aber wir brauchen keine staatliche Geschäftsführung." Obwohl Letzteres eigentlich niemand verlangt hatte.

Spohr ist seit sechs Jahren Lufthansa-Chef. Es ist sein Traumjob, auf den er lange hingearbeitet hat. Er gehört zu einer Generation von Managern, die ihr ganzes Arbeitsleben damit verbracht haben, bei der Airline aufzusteigen, Lufthanseaten durch und durch. Spohr hat angefangen als Pilot, mittlerweile ist er - nicht mehr aktiver - Kapitän auf dem Airbus A320. Ihm ist wichtig, dass er nicht nur die Piloten-Ausbildung absolviert hat, sondern auch Ingenieur ist. Das Cockpit war von Anfang an zu klein für Spohrs Ambitionen.

Bei Lufthansa ist es wie bei anderen Unternehmen: Für die Karriere braucht man neben Können auch Mentoren. Der erste und wichtigste war bei Spohr der legendäre Vorstandschef Jürgen Weber, dessen Büro Spohr drei Jahre lang bis 1998 leitete. Weber, auch ein Ingenieur, rettete Lufthansa Anfang der 90er-Jahre vor der Pleite. 1997 wurde die Airline vollständig privatisiert, es begannen erfolgreiche Jahre. Weber baute, zeitweise mit Spohr als Allianz-Chef, die Star Alliance auf, das erste globale Bündnis von Fluggesellschaften, aus dem heraus Joint Ventures wie das mit United Airlines und Air Canada entstanden, mit denen Lufthansa bis zur Corona-Krise viel Geld verdiente.

Weber wurde später Aufsichtsratschef, auch Spohr stieg weiter auf, erst zum Leiter der Frachtsparte, dann zum Chef der Kernmarke Lufthansa. Bevor er 2014 zum Vorstandschef ernannt wurde, musste er monatelang zittern. Webers Nachfolger an der Spitze des Aufsichtsrats, Wolfgang Mayrhuber, ließ lange extern suchen, bevor er sich doch für Spohr entschied.

Spohr arbeitete an der Konzernspitze vor allem an drei Vorhaben. Er versuchte, die komplexen Strukturen zu vereinfachen. Viel Energie verwendete er auch darauf, die Zweitmarke Eurowings aufzubauen, um sich im stark wachsenden Billig- und Ferienfliegergeschäft zu etablieren. Das ist bis heute nicht gut gelungen - Eurowings schrieb schon vor Corona Verluste und wurde 2019 wieder einmal neu aufgestellt. Hart geblieben ist Spohr in den Tarif-Streitigkeiten, vor allem mit den Piloten. Diese Konflikte kosteten das Unternehmen über die Jahre Hunderte von Millionen Euro und brachten zahllose Streiktage und entnervte Kunden mit sich. Am Ende aber gelang es Spohr, den teuren, seit Webers Zeiten geltenden Konzerntarifvertrag aufzubrechen.

Unterm Strich lief das Geschäft gut, auch wegen eines beispiellosen Booms der Luftfahrt. 2017 bis 2019 waren bei Lufthansa die wirtschaftlich besten Jahre der Konzerngeschichte, Spohr war schon lange unangefochten. Dann kam die Corona-Krise. Binnen weniger Wochen wurde aus einem erfolgreichen Konzern ein Bittsteller. Und aus einem erfolgreichen Vorstandschef ein Manager, der im Ringen mit dem Staat um seinen künftigen Spielraum fürchten muss.

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SZ vom 25.05.2020
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